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Merkur, 14.03.17 |
von Markus Thiel |
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Giordano: Andrea Chenier, Bayerische Staatsoper, 12. März 2017
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Wenig Platz im Wimmelbild |
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Philipp Stölzl inszenierte für die Bayerische Staatsoper Umberto
Giordanos „Andrea Chénier“ mit Jonas Kaufmann und Anja Harteros.
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Von rechts nach links geht die Revolution, von der Maximilianstraße Richtung
innere Residenz. Immer neue Bühnensetzkästen rücken ins Blickfeld, ruckeln
vorbei, ein kleiner Coup von Regisseur Philipp Stölzl ist das. Die rechte
Seitenbühne des Nationaltheaters bietet bekanntlich nur wenig Platz, im
Szenengetümmel werden also von hinten unmerklich Elemente nachgeschoben,
angedockt, auf dass der Bilderbogen weiterzieht. Und getümmelt wird viel an
diesem Abend, an dem Umberto Giordanos „Andrea Chénier“ seine Erstaufführung
(!) an der Bayerischen Staatsoper erlebt. So viel, dass selbst Profis ins
Stutzen kommen: Wer singt da überhaupt? Wo um alles in der Welt sind gerade
die Protagonisten? Und ist es wirklich wichtig, dass gerade irgendwo
irgendjemand eine Tasse Kaffee serviert?
Philipp Stölzl ist Kino-Mann
Das Revolutionsdrama „Andrea Chénier“, gut hundert Jahre nach den
tatsächlichen Ereignissen in Mailand herausgebracht, schnürt Regisseure und
Ausstatter ins Korsett. Wie „Tosca“ und „Rosenkavalier“ ist es so stark
verortet, dass nichts außer Historismus gilt. Am besten also gleich einen
Regisseur holen, der noch nie Lust verspürte auf aktualisierende Ambition,
dafür auf bildmächtiges Gepuzzel. Wie schon 2015 bei den Salzburger
Osterfestspielen, bei „Cavalleria rusticana“ und „Pagliacci“, vertraut
Stölzl mit Co-Bühnenbildnerin Heike Vollmer auf sein Prinzip der
aufgeschnittenen Häuser. Spannend war das an der Salzach. Weil dies Stölzl,
dem Kino-Mann, die Möglichkeit gab, Erzählstränge parallel laufen zu lassen,
Filmschnitte zu simulieren, auch durch Projektionen zu vergrößern und zu
verdichten. Live-Oper als Simultanfilm, hochpräzise choreografiert, das kann
ziemlich erkenntnisreich sein.
Die Premierenbesetzung - ein Luxus
In München sieht das anders aus. Da zerbröselt Stölzl das Stück im
Kleinklein. Ein überinszenierter erster Teil, der das Wohl und Wehe dieser
Revolutionsgesellschaft einfangen will, von den Geschehnissen im Kabinett
der Gräfin von Coigny bis zur schimmligen Unterwelt, die den Umsturz
gebiert. Alles und allem will Stölzl gerecht werden. Das geht so weit, dass
die eigentliche Geschichte – im Grunde ein simples Kräftedreieck –
vollkommen überwuchert wird. Nach der Pause wird das besser, aber auch nur
deshalb, weil Giordano da seinen Helden ihre stärksten Szenen schenkt. Ein
teurer Aufwand wird getrieben, eine Opulenz mit Langlaufgarantie. Die
jeweiligen Abendspielleiter müssen nur darauf achten, dass das Passepartout
für die Stars stimmt. Und die dürfen, wie mutmaßlich hier passiert, in einer
späten Probenphase einsteigen und im Selbstlauf ihre oft gesehene Intensität
abliefern. Das muss kein Nachteil sein wie bei dieser Premierenbesetzung.
Was für ein Luxus! Jonas Kaufmann in der Titelrolle, nach viermonatiger
Zwangspause auch in München wieder aktiv, Anja Harteros als Maddalena, dazu
Luca Salsi, der den Gérard derart phonmächtig ins Nationaltheater meißelt,
eine Tour de Force de Bariton, die schon während der Aufführung die
Gala-Gäste in Verzückung versetzt.
Jonas Kaufmann ist noch nicht bei
100 Prozent
Kaufmann, das zeigt die Premiere, ist noch nicht auf 100
Prozent. Schon beim Rollendebüt vor zwei Jahren in London war zu hören: Der
Chénier, so imponierend kraftvoll das wirkte, ist eine Grenzpartie. In
München wagt sich der Star in Bild eins und zwei noch nicht aus der Deckung.
Es gibt Taxiertes, Vorsichtiges, und höre da – die selbst verordnete
Motorbremse steht dem Tenorissimo gar nicht schlecht. Die beiden
Solo-Nummern, obwohl phrasierungstechnisch versteift, bieten dann gewohnte
Überwältigungsmomente. Doch im Finale, beim großen Duett, kann Kaufmann
nurmehr andeuten. Im Juni will er sich in London mit Verdis „Otello“
erstmals auf den Everest der Tenöre wagen, es kann eng werden.
Münchens „Traumpaar“ der Oper ist wiedervereint
Wie immer, wenn das
„Traumpaar“ zusammentrifft, wird offenbar, dass mehr Unterschied an
technischem Selbstverständnis eigentlich kaum geht. Anja Harteros nähert
sich Giordanos Verismo von der entgegengesetzten Seite. Mit viel Lyrik und
klug austariertem Stimmeinsatz. Maddalenas „La mamma morta“ ist ein fein
ausgehörtes, grandios gesteigertes Psychogramm. Überhaupt breitet die
Harteros ihre große Zwischentonkunst aus, ist aber auch fähig zu
erstaunlichen Dezibelausschlägen. Sehr viel erfährt man über diese Figur
allein aus der Vokalgeste. Am Ende, als der Partner schwächelt, hält sich
Anja Harteros zurück – was für eine Kollegin.
Der Joker aus „Batman“
stolpert durchs 18. Jahrhundert
Überhaupt braucht es in Philipp
Stölzls Wimmelbildern zur Durchsetzung vor allem eines: weniger
Muskelspiele, sondern eine große Persönlichkeit. Das glückt auch in
kleineren Rollen bei Doris Soffel als bizarr überdrehter Gräfin von Coigny,
bei Elena Zillo als Madelon und Tim Kuypers (Mathieu), hier ein ins 18.
Jahrhundert zurückgestürzter „Batman“-Joker. Wie die Regie streift der Mann
im Graben weniger mit der Muskete durchs Werk. Vollmundig, saftig, gern mal
grell, so versteht Omer Meir Wellber seinen Giordano. Es gibt viel auf die
Ohren und noch mehr für die Galerie, manche Dirigierbewegungen sind kaum
zweckdienlich. Dass alles gut ausgeht, ist dem Bayerischen Staatsorchester
zu verdanken, das gerade an solchen Abenden seine immensen Qualitäten
ausspielt. Nach zweieinhalb Stunden ist der Abend fast beim Knalltrauma und
der Titelheld um ein entscheidendes Detail kürzer. Triumphierend reckt
Mathieu einen liebevoll modellierten Kaufmann-Kopf in die Höhe. Das einzige
Requisit, das in den kommenden 15 Jahren ausgetauscht werden müsste.
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