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concerti, 13. Juni 2016 |
Von Peter Krause |
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Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg, Bayerische Staatsoper, Mai 2016
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Der Meisterdirigent von München |
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Ein genialischer Kirill Petrenko dirigiert einen
menschenfreundlichen Wagner |
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Deutsch, dunkel und deklamatorisch wurde Richard Wagner einst gesungen. Zum
Glück sind derlei dunkle Zeiten lange vorbei. Wie erhellend anders als
üblich sich die Überwältigungsmusik des Bayreuthers freilich auch heute noch
singen und musizieren lässt, beweist derzeit Kirill Petrenko in München.
Welche Wonne, ihm zuzuhören, allein schon ihm zuzusehen. Einfach genialisch,
wie der Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper eine maximale
Intensivierung der Wagnerwirkung hervorruft, indem er just all das
wegkratzt, was immer noch als dunkle Patina auf diesem Stück zu kleben
scheint.
Wie die Holzbläser von heimlicher Zärtlichkeit
flüstern
Sehr flott und flüssig geht er gleich das Vorspiel
an. Betörend arbeitet er Holzbläserfeinheiten heraus, die uns gar viel von
heimlicher Zärtlichkeit und Intimität zuflüstern. Licht und luftig ist das
Klangbild – das polyphone Flechtwerk, die kontrapunktische Faktur von
Wagners handwerklich bester Partitur leuchten in bestechender Klarheit. Und
was der Maestro da aus dem Graben glorreich vorgibt, setzt sich im
gleichermaßen „anderen“ Wagnersingen einer Spitzenbesetzung fort. Jonas
Kaufmann muss kaum je mit voller Stimme singen. Als junger Ritter Stolzing,
der hier ein lederjackig rockiger Singer Songwriter mit 68-er
Protestattitüde ist, darf der Superstar seine sängerische Emphase zügeln.
Die erste, im Hause Sachsens probeweise angestimmte Strophe seines
Preisliedes „Nächtlich umdämmert“ geht Kaufmann im Pianissimo (und dabei
auch ein wenig gaumig) an, erst auf der Festwiese genießen seine Fans den
immer glanzvolleren Strahl seines Tenors. Ähnliches gilt für Wolfgang Koch,
der wohl noch nie einen so lyrischen Sachs gesungen hat. Das mag auch an der
eignen geschickten Ökonomie der Krafteinteilung seiner Mammutpartie liegen.
Doch letztlich ist es Petrenkos Konzept des Konversationstons, der hier als
Klangideal einer Komischen Oper enorm einfühlsam in die Tat umgesetzt wird.
Petrenko setzt auf Leichtigkeit, ohne je leichtgewichtig zu
werden
Mit seinem so dezidiert anderen Wagner-Bild
verbreitet Petrenko eine ungeahnte Leichtigkeit, ohne freilich je
leichtgewichtig zu werden. Von diesem Konzept profitieren sie alle – an
diesem musikalisch erfrischenden, beglückenden, von Vorurteilen befreiten
Abend: Der stimmlich schlanke Kavaliersbariton des Markus Eiche als endlich
mal gar nicht peinlich karikierter Besserwisser-Möchtegern-Meistersinger
Beckmesser. Der jugendfrisch frühe Papa Pogner des Christof Fischesser, der
mehr neureicher Dandy denn altväterlicher schwarzer Bass ist. Der
fantastisch wortklare wie tenorschmelzende Benjamin Bruns als idealer David,
der aus dem Lehrbuben das interessanteste Rollenportrait dieser Inszenierung
macht und als fantastischer Sängerdarsteller großartig den jungspießigen
ehrgeizigen Aufsteiger gibt.
David Bösch inszeniert die
Underdog-Meistersinger
Über lange Strecken macht also auch
David Bösch viel richtig. Der Regisseur überträgt das Stück in eine
Nachkriegstristesse der muffigen Plattenbauten, in dem eben durchaus nicht
jedes Mitglied der Gesellschaft vom Wirtschaftswunder profitiert. Da mieft
es ziemlich reaktionär nach einer Bürgerlichkeit der untersten
Mittelschicht: Riecht es da nicht auch latent nach Gewalt? Aus Sachsens
mobiler Schusterstube, die eher den Eindruck einer übelst verdreckten
Dönerbude macht, kommen da längst keine Visionen zur Auffrischung dieser
heruntergekommenen Meister mehr. Wolfgang Koch als Underdog-Sachs muss einen
total resignierten Charismatiker von einst spielen, erotisches Knistern mit
Evchen ist da totale Fehlanzeige. Hoffnungen auf frisches Blut und bessere
Zeiten macht da nur der Stolzing-Kaufmann, der zwar die kesse Eva will und
natürlich auch kriegt, aber mit den Bierbauch-Meistern so gar nichts zu tun
haben will. Sachsens finale Ermahnung „Verachtet mir die Meister nicht“
verhallt in Stolzings Ohren. Eva und Stolzing hauen ab, integrieren sich
nicht. Wagners strahlendes C-Dur der Versöhnung von Tradition und Innovation
findet nur im Orchestergraben statt.
Wenn der Regisseur
schlauer sein will als das Werk
Bösch und sein
dramaturgischer Berater wollen da unbedingt schlauer sein als das Werk, das
die Erneuerung einer in die Jahre gekommenen Gesellschaft durch den
gemeinsamen Kunst-Diskurs feiert – da wird nun mal ein urwagnersches Motiv
in großer Affirmation gefeiert: Wenn schon die Revolution uns nicht retten
kann, dann muss es halt die Kunst richten. Wo Bösch sich am Ende dem Stück
als positivem Gegenentwurf zu Tristan und Isolde verweigert, schlägt sich
Petrenko ganz auf Wagners Seite. Pathosfrei und ohne Anflug von
Deutschümelei kommt die Größe der Botschaft vollends zum Ausdruck.
Unmissverständlich im grandiosen Imperativ des fantastischen Chores der
Bayerischen Staatsoper: „Wacht auf!“ lässt Petrenko mit einer so noch nicht
gehörten Endlos-Fermate singen – und erweist sich so als wahrer Regisseur
des Klangs, inszeniert gleichsam einen Appell an all die Müden und
Beladenen, die Wagner auch heute noch mit instinktsicherer Überwältigung aus
den Sesseln holt.
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