Schwäbische Zeitung, 20.05.2016
Klaus Adam
 
Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg, Bayerische Staatsoper, 16. Mai 2016
An der Staatsoper München sind musikalisch glänzende „Meistersinger“ zu erleben
Der Jubel für Kirill Petrenko kennt keine Grenzen: Das Münchner Publikum war außer sich nach der Premiere der Wagner-Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“. Zurecht. Denn es hat soeben eine orchestral wie sängerisch einzigartige Aufführung erlebt. Die Regie von David Bösch ist erfrischend neu, auch fesselnd, freilich geht ihr jede Poesie ab.

„Zur Entnazifizierung die herzlichsten Glückwünsche“ war auf der Schleife des Kranzes zu lesen, den Münchens Opernfreunde im April 1947 nach der ersten Nachkriegs Wagner-Aufführung am Denkmal des Komponisten niederlegten. In der Retrospektive eine etwas verfrühte Gratulation. Es waren vor allem „Die Meistersinger von Nürnberg“, die zu kritischen Auseinandersetzungen in Literatur (Mann, Adorno, Bloch, Mayer, Millington, Borchmeyer) und Theater führten. Die „Meistersinger“ sind mit einer historischen Hypothek belastet, die abzutragen sich schon viele Regisseure mühten von Wieland bis Katharina Wagner-

Wer da nun bei der sechsten Neuinszenierung der „Meistersinger“ nach 1945 in München wieder eine Spruchkammerverhandlung mit Musik erwartete, musste umdenken. Der Regisseur David Bösch verlegte das Werk aus der von Wagner genau gezeichneten historischen Umwelt um 1550 in unsere Tage und zeigte sich an der Komödie interessiert, die in dem vielschichtigen Text und in seiner Vertonung ja auch enthalten ist.

Diese „Meistersinger“ beginnen auch in der Katharinenkirche, von der aber nur Stahlträger übriggeblieben sind. Man braucht Phantasie, um zu begreifen, warum der draufgängerische Stolzing es – laut Partitur – so schwer hat, mit der recht willigen Eva anzubandeln. Wie ein Ritter sieht Jonas Kaufmann nicht aus, eher wie ein wohl situierter Tramper mit Gitarre. Davids Belehrung über den Passionsweg eines Meistersingers lauscht man aber gern. Benjamin Bruns singt sie erlesen mozartisch.

Für den zweiten Aufzug hat sich der Bühnenbildner Patrick Bannwart zwei Wohnsilos von erlesener Hässlichkeit einfallen lassen. Für Hans Sachs dient das Wohnmobil nicht nur als Werkstatt, man kann auch unerwartete Gäste wie den Ritter Stolzing empfangen. Unbefangen erzählt David Bösch die Geschichte in natürlicher Lebendigkeit, die Gestalten sind unserem Lebensgefühl nahe, nach einer Gewöhnungsviertelstunde empfinden wir selbst ihre altertümelnde Sprache nicht störend. Eine Schwäche hat diese lebenspralle Interpretation: Ihr fehlt die Poesie. Wenn die entfesselte Barbarei der Prügelfuge beim Ruf des Nachtwächters wie ein Spuk zerstiebt‚ ereignet sich orchestral ein lyrisches Mirakel, wird aber nicht Bild.

Das kuriose Stahlrohrenungetüm des ersten Aufzugs wölbt sich auch über die unfestlichste aller Festwiesen. Christof Fischesser ist als Veit Pogner ein Gentleman in Erscheinung und Kehle. Dass so einer seine reizvolle Tochter als Lottogewinn für ein Preissingen auslobt, ist unverständlich. Volksfeststimmung will sich schwerlich einstellen. Erst wenn Sachs den Sinn des Festes erklärt, stellt sich dank des imponierenden Wolfgang Koch, die Aura des Finalbildes ein. Zu ihr trägt auf seine Weise auch Beckmesser bei: Markus Eiche ist der pedantische, besserwissende Verwaltungsbeamte mit einem geradezu italienischen Kavaliersbariton. Dass er sich beim triumphalen C-Dur-Geschmetter erschießt, verstörte das an ein Happyend gewöhnte Publikum sehr.

Stolzing (Jonas Kaufmann), der revoluzzerische Herzensbrecher, hat mit verhaltenem Piano und heldentenoralen Töne die selbstbewusste Eva (Sara Jakubiak mit Sonnenhöhen) gewonnen. Er zieht mit ihr in die Welt hinaus: Aufbruch in ein freies Leben, Abschied von der Tradition. Kein affirmativer Ausklang der „deutschen Nationaloper“, was dem Regieteam natürlich Buhs einträgt.

Bravochöre hingegen für Sängerinnen und Sänger. Für Kirill Petrenko stiegen die Dezibel noch an. Auch sein Ensemble klatschte ihm zu. Er war der Initiator einer orchestral wie sängerisch heute schier einzigartigen Aufführung, musikalisch aufregend in ihrer Fülle an Farben, Emotionen, Stimmungen, Jubel, Trubel, Heiterkeit, Herzensnöten, Melancholie, Ausloten der Abgründe. Was für ein Künstler!




 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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