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Merkur, 18.05.16 |
Markus Thiel |
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Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg, Bayerische Staatsoper, 16. Mai 2016
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Wagners "Meistersinger": Aus dem Zettelkasten |
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München - Wagners "Meistersinger" in München, von Kirill Petrenko grandios dirigiert, von David Bösch unlogisch illustriert. Die Premierenkritik aus der Staatsoper. |
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Rabus könnte das sein, vielleicht auch Gostenhof, das Soho Mittelfrankens.
Dort, wo das Fachwerk weit ist und der bröckelnde Putz allgegenwärtig.
Nürnberg, wie es schwiemelt und mufft, eine Fünfzigerjahrehölle. Das wäre
was gewesen: Richard Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ als
Nachkriegsgrusical, als Spießbürgerstreich einer Normalogesellschaft, in
der, so wie hier am Ende des zweiten Akts zu sehen, die Jugend ihre
Baseballschläger schwenkt und den Oldies gefährlich wird. Der Deutschen
Festoper gibt das mühelos her – aber diese Aufführung?
Dabei hat
Regisseur David Bösch für diese Premiere ja Achtenswertes im Sinn. Hier, am
Uraufführungsort, im Münchner Nationaltheater, da wäre es doch mal wieder
Zeit für eine „Meistersinger“-Komödie – nach all den Inszenierungskrämpfen
um die nationale Selbstbespiegelung. Also Amüsement. Für die Bayerische
Staatsoper ist Bösch als Faktenjäger durch die jüngere Historie gezogen.
Eine schöne Stoffsammlung hat er sich dabei angelegt, deren Themen, Gedanken
und Gags nun munter über dem Stück ausgeleert werden.
Wer
diese Meister eigentlich sind, erfährt man nicht
Lederjacken-Beau (Stolzing) trifft auf Schnapsdrossel im Schusterbus
(Sachs), ein Franken-Lude und Strippenzieher im weißen Anzug (Pogner)
verschachert das Töchterlein, ein bisschen Keilerei, ein bisschen Grand Prix
Eurovision und arg viel Ungereimtes: Zum Luther-Choral zieht eine
katholische Prozession durchs Viertel, Projektionen zeigen Besäufnisse in
oberbayerischer Tracht. Und wer diese Meister eigentlich genau sind, erfährt
niemand. Unbelastet von Logik und Reflexion wird da erzählt. Kurzweilig ist
das schon, nett anzuschauen, auch berührend in kleinen Momenten – aber
unterm Strich, im Nie-zu-Ende-Spinnen des Thesenmaterials, reine
Illustration.
Wobei da lange noch Hoffnung und Verdacht keimten: Ob
alles „nur“ Filmset ist, zumal Bühnenbildner Patrick Bannwart mit
Scheinwerfern bestückte Gerüste hereinschieben lässt? Doch keine Auflösung,
nirgends, dafür ein finaler Ambitionsanfall der Regie. Pegida-Glatzen als
Video, Stolzing flieht, Beckmesser droht Sachs zu meucheln und erschießt
dann sich – zum C-Dur-Brausen scheint der Regisseur mit einem verloren
geglaubten Zettel hereinzustürzen: Hab’ noch was Provokatives gefunden!
Ungewollt gibt der Abend Kunde davon, wie schwierig dieses Stück ist,
das in alle Richtungen auseinanderstrebt und das deshalb so oft missbraucht
wurde, weil es zum Missverständnis einlädt. Im Grunde bräuchte es auch
mindestens drei Dirigenten. Einen Spezialisten für Pathos, einen für den
Spielopernton und einen für die avancierte Klangsprache, wenn die Partitur
immer wieder in die benachbarte „Tristan“-Sphäre driftet. Oder man hat eben
Kirill Petrenko.
Lobgesänge auf ihn mögen inzwischen Alltagsmusik
sein, aber diese „Meistersinger“ verlangen nach einem Dauer-Hosianna.
Eigentlich tut Petrenko etwas sehr Einfaches: Seine Interpretation basiert
auf einem eleganten, geschmeidigen, zügigen Konversationston, aus dem heraus
Wagners „Eskapaden“ (ob blechgepanzert oder harmonisch aufregend) entwickelt
werden. Ein Ton, zu dem Petrenko immer wieder zurückkehrt, sogar in der
Schluss-Ansprache des Sachs, die gerade nicht zum Manifest aufgedonnert
wird. Mehr noch als die Präzision auch in den Giga-Momenten mit dem grandios
mitgehenden Chor verblüfft, wie selbstverständlich die Details, Farb- und
Atmosphärenwechsel eingepasst werden: Die „Meistersinger“ ereignen sich da,
als sei dies die natürlichste Sache der Welt. Das Heterogene des Stücks wird
als verblüffende Einheit erfahrbar. Petrenko zeigt beim Werkdebüt (!) ein
Sensorium für diese Schwellenmusik, über das andere erst nach Jahren
verfügen – man denke an Daniel Barenboims erste Bayreuther Anläufe.
Besonders aber ist damit den Solisten gedient. Die dürfen hier näher bei
Lortzing als bei der „Götterdämmerung“ singen, intimer, entspannter.
Wolfgang Koch kommt das zugute, dessen Bariton ja über wenig Heldengrandezza
verfügt. Sein Sachs wird auf Normalmaß zurückgestuft, auch wenn er oft wie
weggeblendet und im Schonmodus wirkt – von einer möglichen Liaison mit Eva
erfährt man bei Bösch ohnehin nichts. Der Schuster also nicht als Dominator,
die Strippen zieht in diesem Nürnberg Stadtsponsor Pogner, dem dieser
Schwiegersohn gut ins Reich passt: Jonas Kaufmann startet als Stolzing
mächtig unter Dampf, geht mit kleinen Textproblemen bis über die Grenze.
Doch dann fängt sich der Star, spielt und singt seine ob bei Verdi, Mascagni
oder Wagner gern gegebene Paraderolle: den unschlüssigen bis wütenden
Rebellen. Das Festwiesen-Preislied wird als Nummer aus dem Arien-Konzert
zelebriert, unter die Haut geht’s trotzdem.
Sara Jakubiak (Eva) mag
eine gewollte Querbesetzung sein, in den herben, glanzarmen Ton muss man
sich einhören. Dafür zeigt das Haus auf den übrigen Positionen seine Perlen:
Okka von der Damerau als überpräsente und -besetzte Magdalena, Christof
Fischesser als lässiger, grobkörniger Pogner, Benjamin Bruns als
aufgekratzter David am Rande des Nervtötens (und mit Stolzing-Tönen), Eike
Wilm Schulte als Kothner und Richard-Wiedergänger, vor allem Markus Eiche
als Beckmesser zwischen Clooney-Gockeln und Schlagerfuzzi.
Dass ihm
dies nicht zur Karikatur missrät, spricht für die gestalterische Intelligenz
dieses Ausnahmebaritons. Regisseur Bösch verlangt Eiche da einiges ab, vom
Rollstuhlfahren über den Werbegesang auf wackliger Hebebühne bis zum finalen
Amoklauf. Nürnbergs Merker als heimliche Mittelpunktsfigur? Hätte eine
aufregende Sache werden können. Vorausgesetzt, der Regisseur hätte seinen
Zettelkasten etwas ausgemistet.
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