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Salzburger Nachrichten, 18.05.2016 |
Von Karl Harb |
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Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg, Bayerische Staatsoper, 16. Mai 2016
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Meistersinger von Nürnberg": Braucht es fürs Casting noch die alten Regeln? |
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Eva sucht den Superstar. Und da kommt er auch schon. Jonas Kaufmann ist der neue Münchner Meistersinger. |
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Hans Sachs lebt subproletarisch. Seine Schusterstube ist ein mobiler
Kleintransporter, den er wie ein Straßenhändler vor der Kulisse einer
tristen Vorstadtsiedlung aufschlägt. Dafür hat es Veit Pogner weit gebracht.
Der Goldschmied, der seine Tochter Eva dem neuen Meistersinger zur Frau
geben will, um die alternde Zunft zu retten, mutiert jetzt an der
Bayerischen Staatsoper in München zum Medientycoon, der die Preislied-Show
zum Casting-Ereignis aufmöbelt. Evchen sucht den Superstar, denn auf den hat
sie schon selbst ein Auge geworfen. Lässig schlendert er mit Gitarrenkoffer
und Reisetasche herein und schert sich nicht um Regeln. Die verknöcherten
Kunstrichter können mit seinem neuen Gesang nichts anfangen.
Der
damit verbundenen Debatte gewinnt Regisseur David Bösch, seit seinem Sieg
beim Young Directors Project der Salzburger Festspiele vor zehn Jahren so
etwas wie der ewige Jungregisseur der Theater- und auch Opernwelt, viele
fein beobachtete Details in Personenführung und -charakterisierung ab. Er
serviert sie mit lockerer Hand und - das will bei diesem Stück auch etwas
heißen - erfrischend ideologiefrei, damit freilich auch etwas oberflächlich.
Böschs Regie mit den konsequent dazupassenden Bildideen seines
Ausstatters Patrick Bannwart schaut man gerne und mit einigem Vergnügen an.
Sie tut dem Stück nirgends Gewalt an, erzählt es sozusagen systemimmanent
klar. Man verfolgt den Ansatz umso lieber, weil die Musik einen feingliedrig
eloquenten Charme entfaltet, eine wundersame rhetorische Leichtigkeit, einen
frischen Drive, wie man ihn selten sonst erlebt.
Verantwortlich dafür
ist wieder einmal der Wundermann am Pult: Kirill Petrenko. Vom ersten
majestätischen C-Dur-Strahl der Ouvertüre weg bringt Petrenko in seine
ersten "Meistersinger" einen straffen, aber nirgends überspannten Zug ins
Geschehen. Nie drängt er, lässt alles sich aufs Schönste und Logische
entfalten, was vor allem heißt: Er gestaltet den Klang aus dem Wort. Dieses
ist in der so oft absurden, aber immer wieder auch melancholisch
verschatteten Komik des Stücks von essenzieller Bedeutung, und das Münchner
"Meistersinger"-Ensemble liefert jetzt ein Muster an Textdeutlichkeit, wie
man es sich besser nicht wünschen kann.
Freilich: Solche Distinktion
ist nur möglich, wenn die Musik diesen Gestus aufgreift. Petrenko gelingen
da im Großen wie im Räderwerk des Kleinen unglaubliche Dinge. Allein wie er
des Lehrbuben David elendslange Auflistung der Meistersinger-Weisen mit den
nötigen musikalischen Farbtupfern gleichzeitig klangverbildlicht und mit
feinsten Sticheleien ironisch aufspießt, ist ein Meisterstück eigener Art.
Man könnte ein Buch füllen mit den Details, die Petrenko in der Partitur
aufspürt und mit lockerer, beschwingter und hinreißend entspannter Haltung
vorträgt. Das Bayerische Staatsorchester setzt das mit einer Präzision,
Elastizität und einem spielerischen Gusto um, dass man aus dem Staunen und
dem Freuen gar nicht mehr herauskommt. So viel Meistersinger-Ohrenkitzel war
noch nie.
Auf dieser Basis scheint es den Sängern ein Leichtes, sich
mühelos zu entfalten. Jonas Kaufmann ist in Hochform, legt einen leicht
metallisch angespitzten Walther von Stolzing mit Nonchalance hin und hat
fürs Preislied noch alle liedhafte, anstrengungslose Wendigkeit. Wer sänge
ihm das heute nach? Vielleicht etwas eindimensional in den Farben, aber als
Typ, der dabei ist, mit der Welt abzuschließen, singt Wolfgang Koch einen
respektablen Sachs, Markus Eiche ist der fernab jeder billigen Karikatur zum
Schmerzensmann im Glitzerkostüm gewordene Beckmesser, Christof Fischesser
der imposante, mehr als nur balsamisch tönende Pogner, Benjamin Bruns ein
herausragender David und Sara Jakubiak eine selbstbewusste Eva. Nach knapp
sechs Stunden hat man das Gefühl: Diese "Meistersinger" sind noch so frisch,
dass das Spiel sofort von vorn beginnen könnte. Das Premierenpublikum am
Montag tobte: Jubel und die obligaten Buhs für die Regie.
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