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Augsburger Allgemeine, 17.5.2016 |
Von Rüdiger Heinze |
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Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg, Bayerische Staatsoper, 16. Mai 2016
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Was macht ein gutes Preislied beim ESC aus? |
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Erst der Eurovision Song Contest, dann die Premiere einer Neuproduktion von
Wagners "Meistersinger" in der Münchner Staatsoper. Was haben die beiden
Veranstaltungen gemeinsam?
Perfekt: Diese intelligente,
unterhaltsame, unangestrengt modernisierte „Meistersinger“-Bühnenschau lief
nicht am Pfingstsamstag parallel zum „Eurovision Song Contest“, sondern –
zeitversetzt – am Pfingstmontag.
Damit so mancher tatsächlich
vergleichen konnte, damit so mancher zunächst vor dem Fernseher, dann bei
der Staatsopernpremiere in München verfolgen konnte: Was macht ein
gelungenes Preislied aus? Was kann man damit gewinnen? (Antwort: In
Stockholm eine Trophäe und nationales Renommee, in München einen Pokal und
eine Blondine). Und: Wie deutlich darf ein politisches Lied werden, damit
der Interpret noch Gehör findet? Schließlich, vollkommen überraschend: Was
braucht man im Kreuz, wenn man den 1. Preis spontan ausschlagen möchte?
Stolzing gewinnt, weil er nicht der Gunst des Volkes nachläuft
Vor allem aber konnte sich so mancher darüber ein paar Gedanken machen,
welche Konventionen, welches Strickmuster, welche Machart notwendig sind,
damit ein Song neu und preisverdächtig und mehrheitsfähig ist – also nicht
zu neu, zu kühn. Richard Wagner, kein schlechter Komponist und Ästhet vor
dem Herrn, hat zu diesem Thema etliche Verse in seinen „Meistersingern“
untergebracht. Etwa folgende: „Der Kunst droht allweil Fall und Schmach,
läuft sie der Gunst des Volkes nach.“ Klingt altväterlich, bleibt aber wahr.
Der Gunst des Volkes nachlaufen: Genau dies tut Stolzing in Wagners
hinreichend komischer Oper nicht. Und er gewinnt trotzdem oder gerade
deswegen – freilich auch, weil der Mitbewerber etwas schwach ist auf der
Brust, im Kopf und in der Statur. Jonas Kaufmann singt diesen Stolzing in
München, Jonas Kaufmann, dieser Bühnenstar, den es hier als hitzköpfigen
Straßenmusikanten in Lederjacke und Turnschuh auf die Piazza eines
heruntergekommenen Beton-Vororts schneit – halb deutsch, halb italienisch,
halb 60er-Jahre, halb Gegenwart. Alter Zigarettenautomat, neue Mülltonne.
Stolzing lehnt den Meisterpokal vollkommen unerwartet ab
Stolzing also räumt mit seinem Liebeslied ab beim Wettsingen, das
aufgezogen ist als Medienspektakel, als Top-Event, als „Pogner-Vision“
(statt Eurovision) in einer Art Mehrzwecksaal oder modernem Bierzelt mit
Publikum in bajuwarischem Dresscode. Was aber tut er dann, nachdem er die
ausgelobte blonde Eva gewonnen hat? Etwas vollkommen Unerwartetes in der
„Meistersinger“-Bühnenrezeption, etwas, das nicht in Wagners Textbuch
vorgeschrieben wird: Er nimmt zwar Eva – lehnt den Meisterpokal aber ab.
Meister will er nicht sein, jedenfalls nicht unter diesen Meistern, die im
Prinzip nur das Immergleiche feiern. Nicht neben diesem Sachs mit seinen
national gefärbten Gedanken. Stolzing packt seinen Gitarrenkoffer, seine
Reisetasche, seine Eva – vollendet wird die zuvor geprobte Flucht aus der
Spießer-Gesellschaft mit ihrer latent gewalttätigen Gesinnung.
Und
dann ist dieser große, zartbittere Opernabend zu Ende, den David Bösch
zeitgemäß und plausibel, nur gelegentlich etwas zu neckisch im
ausgetüftelten Straßen-Bühnenbild von Patrick Bannwart inszenierte und den
ein bestens aufgelegtes Orchester-, Chor- und Solistenensemble musikalisch
trug. Es fehlte sich nix, alle waren präsent:
Kirill Petrenko,
„Meistersinger“-Debütant, ließ sofort aufhorchen, weil er schon das Vorspiel
deutlich flüssiger als die Konkurrenz dirigierte – und im Verlauf der
Aufführung auch das Leise, Schlanke, Kammermusikalische vertiefte. Magisch:
Vorspiel zum 3. Aufzug und das Quintett vor der Festwiese!
Der Chor, weil er Volkes Stimme ambivalent Wucht verlieh!
Die Solisten, weil sie durchweg individuelle Charaktere spielten und vokal
sorgsam besetzt waren. In der Gesamtleistung über Jonas Kaufmann zu stellen
war Wolfgang Koch als Sachs, da er noch eine Spur prononcierter,
belkantistischer sang als der gleichwohl klug phrasierende Startenor. Koch
dürfte auf dem Höhepunkt seiner Kunst sein.
Auch Christof Fischesser
als Pogner beeindruckte tief. Ein ganz eigener Spieltenor: Benjamin Bruns
als David; jung und frisch strahlend: Sara Jakubiak als Eva. Als
aufgewertete und tragische Figur nahm Beckmesser (Markus Eiche) für sich
ein. Ovationen, durchsetzt mit Buhs für die Regie.
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