Die Presse, 22.06.2016
(sin)
 
Mahler: Das Lied von der Erde, Wien, Musikverein, 21. Juni 2016
Wenn Künstlers Mut zum Solo zu Übermut wird
 
Jonas Kaufmann sang „Das Lied von der Erde“ im Alleingang. Die Frage nach dem Wozu blieb unbeantwortet.
 
Die Philharmoniker, ein Publikumsliebling und ein Werk, für das normalerweise zwei Solisten engagiert werden müssen. Warum Gustav Mahler ausdrücklich von einer „Symphonie für eine Tenor- und eine Alt-(oder Bariton-)Stimme“ spricht, wissen nach diesem Abend im Großen Musikvereinssaal jetzt immerhin alle.

Der Impetus, die heldische Strahlkraft der tenoralen Höhen ließen im ersten Satz, dem „Trinklied vom Jammer der Erde“, keinen Zweifel aufkommen: Jonas Kaufmann ist der ideale Interpret für die drei seiner Stimmlage zugedachten Nummern. Kaum eine andere Stimme durchdringt in diesem kräfteraubenden Stirnsatz so machtvoll die – im Fall des einspringenderweise dirigierenden Jonathan Nott besonders aggressiven – Attacken des Riesenorchesters; und gebietet dann ebenso souverän über die poetischen Pastelltöne der inmitten der Symphonie gelegenen Miniatur „Von der Jugend“. Jonas Kaufmann vereinigt solche Gegensätze mühelos.

Seine Stimme klingt bei aller Höhensicherheit baritonal-männlich, das stimmt. Dass er dem zum Trotz ein Tenor ist und bleibt, erfährt man, sobald er die oft in extrem tiefen Lagen notierten, melancholischen Verse von Abschied und Resignation in den Sätzen 4 und 6 deklamiert. „Erzählend und ohne Espressivo“ steht über der ersten Zeile des abschließenden Li-Tai-Po-Gedichts – das müsste als quasi Generalabsolution für viele Phrasen in Kaufmanns Versuch herhalten; allein, wenig später bittet Mahler schon wieder um „sehr ausdrucksvollen“ Gesang. Den kann Kaufmann im tiefen Vokalkeller nicht bieten. Ob Kaufmann, der Manager, für Kaufmann, den Tenor, Kaufmann, den Bariton, als ebenbürtigen Partner akzeptieren würde? Das abschließende „Ewig, ewig“, eine Oktave höher gesungen, hätte vielleicht die sonst unausbleibliche bewegende Wirkung gehabt.

Diesmal sorgte – bei besonders zügigen Tempi – eher der Respekt für die athletische Leistung für den obligaten Schlussjubel. Wie mit der improvisatorisch kühnen Mahler'schen Klangsprache umzugehen wäre, erschloss sich diesmal höchstens aus einigen philharmonischen Holzbläsersoli, die zuvor schon Richard Strauss' „Tod und Verklärung“ vor dem rettungslosen Ertrinken im Orchester-Farbtopf bewahrt hatten.





 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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