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Tiroler Tageszeitung, 04.08.2015 |
Von Ursula Strohal |
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Beethoven: Fidelio, Salzburger Festspiele, 4. August 2015
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Kein Zurück ins Leben |
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Ludwig van Beethovens Oper „Fidelio“, bei den Salzburger Festspielen
von Ballast befreit und Innenräume öffnend, spaltete bei der Premiere das
Publikum. |
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Salzburg – Nach den festgespielten Gender-Orgien am Bodensee und an der
Salzach nimmt eine Opernfigur die Sache selbst in die Hand: Lasst jetzt den
Profi ran, sagt Leonore und verwandelt sich in den Jüngling Fidelio. Und
wenn heuer auch Fragen der Identität, der Spiegelung und Verdoppelung
aktuell sind, so schreibt Regisseur Claus Guth im Großen Salzburger
Festspielhaus bei seiner Neuinszenierung von Beethovens „Fidelio“ das Thema
gewichtig weiter. Auf seine hochartifizielle, intelligente Sicht der Oper,
der er jede Konvention austreibt und neue Räume eröffnet, reagierte das
Premierenpublikum am Dienstag irritiert. Ein Chor aus Buhrufern suchte sich
gegen die Befürworter durchzusetzen. Die Sänger wurden freundlich
verabschiedet, mehrheitlich frenetisch die Wiener Philharmoniker und
Dirigent Franz Welser-Möst, aber auch er bekam einige Buhrufe ab.
Welser-Möst reagierte auf die Radikalität, die Entbürgerlichung und
Konzentriertheit der Figuren in ihrem jeweils eigenen inneren Gefängnis mit
einem direkten, sportiven Sound, handfester Höhepunkt die im zweiten Aufzug
obligat eingefügte dritte Leonorenouvertüre. Im Quartett ließ er freilich
Zauber zu, und was die Philharmoniker an Soli und Detailarbeit investierten,
leuchtete auf.
Die Besetzung war Durchschnitt, weder schlecht noch
auf Festspielniveau. Ausgenommen Jonas Kaufmann, dessen viriler Tenor seiner
Paraderolle so sehr entgegenkommt. Florestans Aufschrei beginnt er im Piano
und tastet sich dann im Dunkel vor zu seinen Visionen. Folter, Kerker,
Dunkelhaft, Durst und Nahrungsentzug haben ihn gebrochen, er ist bedrängt
von Angst, Verzweiflung, ersterbender Hoffnung. Leonore/Fidelio dringt nicht
mehr wirklich zu ihm vor. Den Geretteten kann nichts mehr retten, er erträgt
das Licht nicht und nicht das „Heil“-Geschrei. Er entgleitet seinem
Lebensrest. Jonas Kaufmann singt und agiert auf Topniveau, überzeugend,
drucklos.
Adrianne Pieczonkas Leonore ist präsent, aber nicht
außergewöhnlich, ebenso Tomasz Koniecznys Pizarro. Weich fließt der Bass von
Hans-Peter König (Rocco), die Marzelline der Olga Bezsmertna fällt kaum auf,
stimmlich bieder Norbert Ernst als Jacquino und Sebastian Holecek als
Minister. Gut die Chöre. Die große Bühne und das Bühnenbild isolieren die
Figuren und machen sie klein. Christian Schmidt baute ein weißes Dreieck mit
einem riesigen Kubus in der Mitte – tiefschwarzer Schicksalsblock. Die
minimalistisch geführten Figuren werfen Schatten an die weißen Wände, die
dort zu ungewöhnlichen Konstellation zueinander gelangen, sich auch
durchdringen können. Durch derart sensible Öffnungen in psychologische, auch
psychopathologische Innenräume, die die Figuren äußerlich nicht zulassen,
erweitert Guth die Bewusstseinsebenen. Indirektes wie Schatten erweitert die
Dimension des Darstellbaren. Das ist spannender, als die Beschreibung
klingt. Reizvoll, wenn Leonore/Fidelio im Schatten zu einer Figurine der
Beethoven-Zeit wird.
Zu den „Schatten“ gehören Doubles für Leonore
und Pizarro, die in dieser erweiterten Dimension agieren. Leonores Alter Ego
bleibt Frau und agiert, schauspielerisch emotionaler als Leonore/Fidelio, in
Gebärdensprache. Sie übersetzt ins Publikum, vervielfältigt gleichsam
„Inhalt“ ohne Sprachbarriere. Nur gestikulierend kommt es einmal zum
Zwiegespräch Leonores mit dem Schatten und dadurch zum Selbstgespräch. Das
Alter Ego Pizarros ist ein geschmeidiger Tänzer, der die Angst, Überreaktion
und Unsicherheit des Bösewichts nach außen trägt, eine Karikatur der
Despotie mit Blick hinter die Fassade und durchaus erheiternden
Augenblicken.
Die poetische Kargheit und kühle Ästhetik dieser
Inszenierung innerer Wahrheiten, die das Experiment und den Mut zur Stille
miteinschließt, wird möglich durch die Streichung der Dialoge. Karsten
Ottersberg ersetzt sie durch zarte Geräuschkollagen. Konsequenterweise hätte
auch die dritte Leonorenouvertüre entfallen können. |
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