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Der Tagesspiegel, 5.8.2015 |
Von Frederik Hanssen |
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Beethoven: Fidelio, Salzburger Festspiele, 4. August 2015
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Schrei nach Freiheit |
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Wenn das Libretto lügt: Claus Guth inszeniert Beethovens Gefangenen-Oper „Fidelio“ in Salzburg als Drama ohne Ausweg – und Jonas Kaufmann triumphiert. |
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„Fidelio“ ist eine Zumutung für Tenöre. Erst müssen sie den kompletten 1.
Akt in der Garderobe warten – und wenn sie endlich dran sind, haben sie aus
dem Stand eine der heikelsten Arien des deutschen Fachs zu singen. Trotzdem
tritt Jonas Kaufmann regelmäßig in Beethovens einziger Oper auf, seit 13
Jahren schon. 2010 war er bei einer CD-Gesamtaufnahme unter Claudio Abbado
dabei.
Wenn der Megastar jetzt in Salzburg mal wieder als Florestan
annonciert ist, läuft das Kassentelefon heiß: Denn seit Rolando Villazóns
Stimmkrise ist Kaufmann in der Gunst des Opern-Jetsets zum legitimen
Nachfolger Placido Domingos aufgestiegen. Alle wollen dabei sein, wenn der
Beau aus München im Festspielhaus singt. „Ich erhalte viele böse Mails, weil
Leute keine Karten mehr bekommen haben“, sagt Festivalpräsidentin Helga
Rabl-Stadler. Und Interims-Intendant Sven-Eric Bechtolf beeilt sich zu
betonen, dass selbstverständlich „das gesamte Ensemble“ der Produktion
„herausragend“ sei, dass Regisseur Claus Guth ein „hochinteressantes
Konzept“ habe und das bloße Engagement von Herrn Kaufmann keine Inszenierung
zum „Selbstläufer“ mache.
Bei der Premiere aber ist der Auftritt des
Tenors das absolute Highlight. Der Saal hält den Atem an, bevor die
Kerkerszene mit dem berühmten „Gott, welch dunkel hier!“ beginnt. Der Schrei
aus der Finsternis, als Stöhnen erst, dann auf dem „O“-Vokal anschwellend,
eine gefühlte Ewigkeit lang, dieser Schrei wird drängender und drängender,
bis er den gesamten Raum erfüllt. „Kontrollierte Ekstase“ nannte Herbert von
Karajan diese Mischung aus Kunstfertigkeit und technischer Meisterschaft.
Eine musikalische, keine naturalistische Entäußerung, ganz im Dienst der
Figurenzeichnung. So bekommt man dieses Crescendo derzeit nur von Kaufmann
zu hören. Auch die anschließende Arie ist beeindruckend durchdrungen, dieses
Lied vom Leid, das der politische Gefangene durchlebt hat.
Florestan
und Leonore werden von Doubles begleitet - was eigentlich überflüssig ist
Jonas Kaufmann ist der einzige Sänger des Abends, der realistisch
schauspielern darf. Alle anderen sind vom Regisseur dazu verdonnert,
Schatten ihrer selbst zu sein. Wobei Leonore, die als Mann namens Fidelio
verkleidet ihren Gatten zu befreien versucht, und Polizeichef Pizarro
zusätzlich von Doppelgängern begleitet werden. Titelheldin Adrianne
Pieczonka von einer Frau, die sich in Gebärdensprache verständlich zu machen
sucht, der in „Matrix“-Manier gekleidete Tomasz Konieczny von einem Mann,
der ständig mit einem Messer herumfuchtelt.
Beide Künstler bedürften
eigentlich keiner szenischen Verdeutlichung ihrer inneren Angelegenheiten.
Denn beide sind ausdrucksstarke Interpreten, Adrianne Pieczonka eine Leonore
mit lyrischem Sopran, aber festem Willen, Konieczny ein flammenzüngiger,
auch körperlich sehr präsenter Bassbariton. Doch Claus Guth hat ein Konzept,
und dem müssen sich alle fügen. Er will von dem ganzen Freiheitsquatsch
nichts wissen, den Beethoven dem Publikum auftischt.
Von wegen „alle
Menschen werden Brüder“: Gefangene ihrer selbst sind sie für den Regisseur,
auch die „Guten“ haben ihre Abgründe. „Eine geglückte Flucht über die Brücke
zum Paradies ewiger Freiheit und Glückseligkeit findet nicht statt“, meint
er. Das Libretto lügt, die Schauplätze sind so unglaubwürdig wie das
Happyend, bei dem Florestan in letzter Sekunde durch einen deus ex machina
in Gestalt des ehrbaren Ministers gerettet wird. Punktum.
Franz
Welser-Möst sieht in dem Werk eine "Musik mit Handlung"
Natürlich ist
die Versuchsanordnung von Guth und seinem Ausstatter Christian Schmidt
penibel durchdacht und spannend anzuschauen. Von großbürgerlicher
Gefühlskälte erzählen die Kostüme wie auch die Holzvertäfelung des
fensterlosen Saals, die hier das „Gefängnis in der Nähe von Sevilla“
ersetzen. Ein bedrohlicher schwarzer Kubus verweist in blendend weißem
Ambiente auf die Präsenz dunkler Mächte. Später wird sichtbar, dass darunter
bereits das Grab für Florestan ausgehoben war.
In den Arien und
Ensembles beschränken sich die Sänger auf ein gestisches Minimum, die
Dialoge sind komplett gestrichen und durch Soundinstallationen von Torsten
Ottersberg ersetzt: Wind, schwerer Atem, metallisches Knirschen, Pieptöne,
Rauschen, eine Glocke. Die Figuren bewegen sich wie Nachtwandler,
sprachunfähig, orientierungslos. Lebendiger als diese Lemuren wirken ihre
Schatten, die wie Scherenschnitte an den Mauern tanzen. Erstaunlich, wie
viele unterschiedliche Lichtstimmungen sich diesem NichtRaum abgewinnen
lassen (Lightdesign: Olaf Reese). Die Atmosphäre bleibt aber immer so hart
und kalt, dass sich Applaus nach den Arien geradezu verbietet. Wagen es dann
doch ein paar Zuschauer, erstirbt das Klatschen schnell wieder. Eine Oper
ohne Menschen zeigt Claus Guth.
Franz Welser-Möst dirigiert dazu eine
Sinfonie in zwei Akten. Auch er ist davon überzeugt, „dass es Beethoven
nicht um Einzelschicksale geht“. Sondern um eine Idee, darum „seine eigene
Philosophie in die Köpfe der Menschen zu bringen“. Deshalb habe der
Komponist so lange mit der Gattung gehadert, den „Fidelio“ zwei Mal
umgearbeitet, vier Ouvertüren komponiert. Eine „Musik mit Handlung“ sieht
Welser-Möst in dem Werk – und vermag das Primat des instrumentalen Tons mit
den Wiener Philharmonikern auf atemberaubende Weise umzusetzen.
Elektrisierend präsent der Sound aus dem Graben, der so weit hoch gefahren
ist wie sonst nur bei Mozart-Werken, scharf, leuchtend. Wer hätte den
traditionsverliebten Damen und Herren aus dem Musikvereinssaal zugetraut,
dass sie die Knackigkeit eines Alte-Musik-Ensembles herstellen können, wenn
sie nur wollen? Inspirierende Probentage müssen das gewesen sein, aufregend
ist das Live-Ergebnis jetzt, ergreifend nahe kommt die Klangrede den
Ohrenzeugen im Saal. Eine Musik, die tatsächlich von Utopien erzählt. Und
die Sänger noch weiter in den Hintergrund treten lässt, etwa Olga
Bezsmertnas Marzelline und Hans-Peter Königs Rocco.
Florestan, man
ahnt es schon, ist nach seiner Befreiung nicht in der Lage, in den Jubel
einzustimmen. Dafür hat ihn die Einzelhaft zu sehr traumatisiert. Jonas
Kaufmann spielt das eindrucksvoll, zuckt bei jeder Berührung zusammen, kann
helles Licht, laute Töne nicht ertragen. Bei den letzten Takten des
„Namenlose Freude“Duetts tritt er zurück in den Schatten, den der
mittlerweile im Bühnenhimmel verschwundene Kubus immer noch wirft. Dann
fällt der Vorhang, und Franz WelserMöst dirigiert die 3. Leonoren-Ouvertüre
mit den charakteristischen Freiheits-Signalen der Trompete. Ein starker
Schluss wäre das gewesen, hier abzubrechen, der Musik das letzte Wort zu
überlassen. Doch Guth hat den Partitur-Eingriff nicht gewagt – oder nicht
durchsetzen können. Das Jubelfinale wird gezeigt, als szenischer
Wurmfortsatz, in dem überflüssig gedoppelt wird, was zuvor schon erschöpfend
gesagt wurde. Schade.
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