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Abendzeitung, 05.08.2015 |
Robert Braunmüller |
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Beethoven: Fidelio, Salzburger Festspiele, 4. August 2015
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Beethovens "Fidelio" als Neurosenkavalier |
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Salzburger Festspiele: Beethovens „Fidelio“, aufregend dirigiert von Franz Welser-Möst und eher fad inszeniert von Claus Guth |
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Uns geht’s doch gut. Wir leben in riesigen Altbauwohnungen, weil wir uns das
leisten können. Politische Gefangene werden vielleicht in Guantanamo oder
Nordkorea gehalten. Aber das ist weit weg. Vor lauter Frieden fällt uns die
Decke auf den Kopf. Neurosen und Depressionen sind die Folge. Aber wirklich
schlimm ist das nicht.
Das ist die saturierte Welt, in der Besucher
der Salzburger Festspiele leben. Auch der Regisseur Claus Guth und sein
Bühnenbild-Zwilling Christian Schmidt haben sich in solchen bürgerlichen
Zimmern wohnlich eingerichtet. Auf dem Theaterzettel mögen Glucks
„Iphigenie“, Wagners „Holländer“ oder Verdis „Luisa Miller“ stehen. Doch bei
Guth und Schmidt wird immer nur der „Neurosenkavalier“ gespielt. Auch
diesmal, bei „Fidelio“ im Salzburger Großen Festspielhaus.
Für
Beethovens menschheitsbeglückenden Überschwang haben Guth und Schmidt ein
müdes Lächeln übrig. Aber sie sind auch zu abgeklärt, um wie einst Martin
Kusej in Stuttgart ihre Kritik radikal zu Ende zu denken. Daher
privatisieren das Politische: Nicht Florestan sitzt im Kerker seines Salons.
Sondern wir alle sind Gefangene unserer Wünsche und Obsessionen.
Der
Dirigent Franz Welser-Möst ist ähnlich konsequent wie Guth. Nur in völlig
entgegengesetzter Richtung. Sein Beethoven ist glühend und hitzig, aber
gebändigt durch das klassische Maß und ohne Härten. Der immer etwas
unterschätzte Österreicher hat intensiv an den Übergängen und Details
gefeilt. Für diese gediegene, im besten Sinn kapellmeisterliche Deutung hat
er das ideale Orchester: die warm, seidig und herzlich spielenden Wiener
Philharmoniker. Filme aus dem letzten Jahrtausend pulvern
Regiekunstgewerbe auf
Höhepunkt der Aufführung ist die vor dem Finale
bei geschlossenem Vorhang gespielte, emphatisch gesteigerte
Leonoren-Ouvertüre Nr. 3. Dann hängt ein Lüster im Altbau. Die
Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor singt aus dem Off. Die Regie
diskreditiert billig den Minister (Sebastian Holecek). Florestan torkelt als
seelisches Wrack über die Bühne. Alle sind fertig, nur das Leonoren-Double
spricht emphatisch in Gebärden zum Publikum.
Es ist das übliche
Unbehagen an diesem Finale in den üblichen Bildern. Davor ringt Pizarro als
Klon von Agent Brown und Agent Jones aus „Matrix“ ein bißchen mit sich
selbst. Die anderen Figuren dreht der Monolith aus Stanley Kubricks „2001:
Odyssee im Weltraum“ auf die Bühne.
Filme aus dem letzten
Jahrtausend, die blutleeres Regiekunstgewerbe aufpulvern. Die gesprochenen
Dialoge dieser Oper sind gewiss nicht von Rilke. Ihre historische Patina ist
einem ans Herz gewachsen. Man könnte sie einfühlsam kürzen. Aber die
Einspielung von ein wenig Wummern, Klirren und Rauschen zwischen den
Musiknummern ist natürlich bequemer für den internationalen Starbetrieb.
Guth zerstört damit das Melodram der Kerkerszene, in der gesprochene
Worte vom Orchester untermalt werden. Davon bleibt nur eine Ruine. Und auch
sonst bringt es wenig: Ohne Dialoge werden die Figuren zu bloßen Archetypen.
Eine exzellente Besetzung
Das funktioniert bei
Leonore, Florestan und Rocco, weil die Sänger hier musikalisch für eine
Feinzeichnung sorgen. Etwa Adrianne Pieczonka, die mit stählerner Kraft und
Beweglichkeit die übermenschliche Anstrengung Leonores fühlbar macht und
auch schier Unsingbares mit Leichtigkeit meistert. Ihr tut es der als
Florestan derzeit unerreichte Jonas Kaufmann gleich. Sein Kraftgesang
widerspricht allerdings der szenischen Deutung der Figur als Psycho-Wrack.
Hans-Peter König macht aus dem Rocco einen bürgerlichen, geldzählenden
Patriarchen samt ein paar Flecken am Charakter. Mit seinem warmen Bass ist
der würdige Nachfolger des unvergessenen Kurt Moll. Die anderen sind
blasser. Tomas Koniezcny singt den Pizarro mit einer für das Große
Festspielhaus zu kleinen Stimme - immer hart am Anschlag und deshalb so eng
wie farbenarm.
Darunter leidet das Quartett im zweiten Akt. Olga
Bezsmertna ist fast schon zu dramatisch für die Marzelline, Norbert Ernsts
Jacquino reduziert die Regie auf den üblichen dumpfen Bürospießer. Trotzdem:
Besser lässt sich Beethovens „Fidelio“ derzeit wohl kaum besetzen. Und auch
die Wiener Philharmoniker machen die Aufführung zum Erlebnis.
Bitte lüften!
Bestimmte Ansätze der Inszenierung
sind interessant, etwa die Dopplung der Leonore durch die intensive,
berühend emphatische Pantomimin Nadia Kichler. Aber kaum denkt sie an
Florestan, wird für Denkfaule schon Jonas Kaufmann riesig auf die Wand
projiziert.
Ärgerlich ist die Vorhersehbarkeit und die Anhäufung von
Klischees. Es wird Zeit, dass Guth und Schmidt ihre Altbauwohnungen mal
entrümpeln und durchlüften.
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