Opernglas, Februar 2016
S. Barnstorf
 
Berlioz: La damnation de Faust, Paris, Opera Bastille, 8. Dezember 2015
La Damnation de Faust
 
Nur wenige Tage nachdem Alvis Hermanis sein Engagement am Hamburger Thalia-Theater mit der Begründung, er wolle nicht für ein „Refugee-Welcome-Theater" arbeiten, zurückgegeben hatte, kam es in der Pariser Bastille-Oper zur Präsentation seiner Lesart von Hector Berlioz' »Fausts Verdammnis«. Das Rauschen im deutschen Blätterwald hatte sich bis zur Premiere noch nicht in Paris herumgesprochen — aber dennoch empfing das Publikum den lettischen Regisseur, der für den Bayreuther »Lohengrin« 2018 eingeplant ist, mit einhelliger Ablehnung. Grundgedanke und roter Faden seiner Interpretation: der weltbekannte Physiker Stephen Hawking als Faust, durch Muskelschwund seit Jahrzehnten an den Rollstuhl gefesselt und in der Produktion als Double fast durchgängig präsent als Begleiter und geistiger Wegbereiter einer beginnenden Marsmission, die die Umsiedlung der Menschheit auf den roten Planeten einleiten soll. Ein im Grunde genommen interessanter Ansatz, schien er doch theoretisch deutlich das Spannungsfeld zwischen Wissen und technischem Fortschritt auf der einen und Verzicht, Verfall und Entsagung auf der anderen Seite zu umreißen. Denn es sind genau diese zwei Seiten, die den Hauptakteur der Goethe'schen Vorlage umtreiben. Und in diesem Zusammenhang hat Hermanis auch in seiner Funktion als Bühnenbildner deutliche, packende Bilder gefunden mit vielen schönen Naturbildern und Landschaften (auch der Anbetung der Natur durch Faust entsprechend mit Videos von Katrina Neiburga gestaltet), denen der von Natur aus sehr benachteiligte, körperlich geschundene, aber genial denkende Astro-Physiker Hawking entsagen muss und will. Wenn er am Ende des zweiten Bildes in ein überdimensionales, sich immer schneller drehendes Atom gesteckt wird, dann erscheint dies als Aussicht auf Erlösung von dem behindernden Körper durch die futuristische Marsmission in der Schwerelosigkeit. Und auch die Szene der kopulierenden Weinbergschnecken im dritten Bild, die für den Aufreger des Abends beim Publikum sorgte, ist als überzeichnetes Bild der (Wunsch-)Beziehung Marguerites mit Faust (während sie Dominique Mercy als das im Rollstuhl gefesselte Faust-Double zur Arie des Königs von Thule ansang) durchaus logisch. Das Publikum mochte spätestens bei diesem Bild nicht mehr folgen, was sich spontan in lautem Zischen und Zwischenrufen äußerte. Philippe Jordan am Pult des Orchesters der Pariser Nationaloper musste hier beschwichtigend eingreifen.

Die Ablehnung der Inszenierung mag auch zu Teilen in der Berlioz'schen Umsetzung begründet sein, entfaltet sich doch die Musik zu weiten Teilen oratorienhaft. Jordan führte hier sein Orchester mit bisweilen breitem, weichem Klang eher salbungsvoll durch die Partitur, die musikalische Vorlage dadurch bestärkend. Dass der Regisseur diesem Umstand keine Rechnung trug, sondern konsequent seine eigene (wenngleich passende) Geschichte mit einer ausgefeilten Choreografie (Alla Sigalova) mit Adam und Eva im Paradies und menschlichen Laborratten erzählte und das gewissermaßen „oberflächliche" Bühnengeschehen mit Auerbachs Keller, Irrlichtern und Zwergen völlig überging, verstärkte die Diskrepanz zwischen Werk und Inszenierung offenkundig so weit, dass sich das Publikum vor den Kopf gestoßen fühlte. Nachdenklich stimmte, dass Hermanis ein Einzelschicksal verallgemeinerte: Immer wieder blendete er Aussagen Hawkings ein wie „Wenn die Menschheit überleben will, muss sie zum Mars aufbrechen".

Umjubelt dagegen die Sängerriege: Jonas Kaufmann in der Titelpartie des Faust sorgte insbesondere nach der Pause für einen Höhepunkt des modernen Operngesanges auf Extraklasse-Niveau: zu Beginn noch etwas zurückhaltend und in vergleichsweise lyrischem Piano gestaltend, geriet ihm glänzend, strahlend und in jeder Beziehung sicher und nuanciert geführt sein „Lied" zu Beginn des dritten Aktes. Atemberaubend! Sophie Koch als Marguerite bestach mit einem runden, ausdifferenziert-schattierten Mezzo mit etwas fülligem Timbre. Auch sie zeigte in sämtlichen Lagen formschöne Nuanciertheit. Bryn Terfel brachte einen kraftvollen, bisweilen etwas nasal angehauchten Bariton in die Partie des Méphistophélès ein, der in den Alltagsklamotten der Kostüme von Christine Neumeister nicht weniger diabolisch erschien. Edwin Crossley-Mercer als Brander mit strahlendem Tenor und Sophie Claisse als Stimme von oben mit sicher geführtem Sopran komplettierten die hochkarätige Besetzung. Die Chöre in der Einstudierung von José Luis Basso agierten nach etwas zaghaftem Beginn später in schöner Kompaktheit und mit Strahlkraft. Am Ende tosender Applaus für Sänger und Orchester und ein einheitliches Buhkonzert für die Regie.





 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
  www.jkaufmann.info back top