Der Opernfreund, 5.4. 2014
Hermann Becke
 
Schubert: Winterreise, Graz, Musikverein, 4. April 2014
 
LIEDERABEND JONAS KAUFMANN-HELMUT DEUTSCH
 
Intensive WINTERREISE und Goldene Schallplatte für Verdi!
 
Jonas Kaufmann und Helmut Deutsch haben im vorigen Oktober in München diese Winterreise-CD aufgenommen und sind nun seit Ende März unterwegs, die Winterreise auch auf den Konzertpodien zu präsentieren. Berlin (Anmerkung: Barcelona) war die erste Station, nach Graz folgen im Zweitagesabstand London, Paris, Prag, Moskau und Mailand – dem Musikverein für Steiermark ist zu gratulieren und sehr zu danken, dass Graz in dieser illustren Reihe von Veranstaltern als einzige österreichische Station aufscheint. Dass Jonas Kaufmann seine Auseinandersetzung mit dem Lied sehr ernst nimmt, erkennt man schon daran, dass er seine Lied- und Opernauftritte genau trennt. Den Terminen auf seiner Homepage entnimmt man, dass die nächsten Opernauftritte erst in der zweiten Juni-Hälfte anstehen – bis dahin gibt es nur Winterreise-Konzerte und Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“. Auch im Interview zur Winterreise-Aufnahme (samt Musikbeispielen) mit ihm und seinem Lied-Mentor Helmut Deutsch hört man Ernsthaftes und Interessantes. Ich meine daher, jene Stimmen haben nicht Recht, die sagen, dass Jonas Kaufmann lediglich seine weltweite Opernreputation ausnütze und dass seine Auseinandersetzung mit dem Lied (und der Schubert’schen Winterreise im Besonderen) zu früh komme - er solle bei seinem „Opern-Leisten“ bleiben. Nein - seine Opernerfolge und seine Popularität dürfen nicht dazu führen, dass man seine Beschäftigung mit dem Lied nicht ernst nimmt. Und übrigens – es gab immer Sängerpersönlichkeiten, die sowohl als Opernsänger als auch als (Schubert-)Liedgestalter beeindruckten – ich nenne drei Namen der großen Sängervergangenheit als Beispiel: Hans Hotter, Anton Dermota und Fritz Wunderlich. Sie waren alle auf dem Höhepunkt ihrer Opernerfolge auch in Graz als Schubertgestalter zu erleben und ihre Interpretationen sind auf Tonträgern nachzuhören.

Und mit Graz und Franz Schubert möchte ich diesen Bericht eginnen – immerhin wurde Franz Schubert schon im Jahre 1823 zu einem der ersten Ehrenmitglieder des Musikvereins für Steiermark, der nun vor seinem Zweihundertjahr-Jubiläum als Konzertveranstalter steht. Das war vier Jahre, bevor Franz Schubert mit der Vertonung von Wilhelm Müllers Gedichtzyklus „Die Winterreise“ begonnen hatte. Im März 1827 lud Schubert in Wien seine Freunde ein, um ihnen das erste Dutzend dieser Lieder vorzustellen. Aber Schubert unterbrach dann die Arbeit an der Winterreise, um sie erst im Oktober 1827 nach seinem dreiwöchigen Steiermark-Aufenthalt wieder aufzunehmen. Die Herbsttage in Graz verflogen in heiterer und entspannt-fröhlicher Stimmung. Zurückgekehrt nach Wien wird Schubert bald wieder von Kopfschmerzen geplagt und von Melancholie befallen. Noch im Oktober setzt er die seit sieben Monaten unterbrochene Arbeit an der Winterreise fort. Es gibt keinerlei Belege dafür, ob sich Schubert während seines Grazer Aufenthaltes mit der Winterreise beschäftigt hat. Ohne Zweifel floss ihm aber während der heiteren Tage in der Steiermark die innere Kraft zu, die Komposition dieses düsteren Liederzyklus zu vollenden, der – wie sein Freund Spaun vermutet – vielleicht auch „seinen frühen Tod mitveranlasst“ hat.

Es ist also schon ein besonderer Ort, wenn in Graz die Winterreise erklingt – wenn es auch so manchem im Publikum nicht bewusst oder gar gleichgültig ist, ist man doch vor allem gekommen, um Jonas Kaufmann zu erleben. Der Stephaniensaal war wieder übervoll – der Stehplatz so gefüllt wie schon lange nicht, und auf dem Podium waren hinter den Interpreten zusätzliche Sitzreihen aufgebaut. Jonas Kaufmann und Helmut Deutsch traten mit uneitlem Ernst auf und vermittelten eine überaus intensive und durchaus packende Wiedergabe der vierundzwanzig Lieder. Ganz bewusst habe ich schon in der Überschrift beide Namen gleichberechtigt angeführt – denn die Mitgestaltung durch den Pianisten Helmut Deutsch ist ein ganz entscheidender Bestandteil der Interpretation, was durch Jonas Kaufmann in sehr sympathischer Form beim Schlussapplaus auch deutlich signalisiert wurde. Helmut Deutsch vermittelt für mich ideal den Inbegriff des österreichischen Schubert-Klangbildes. In großer Konzentration (und mit ausgeklügelt zusammenmontierten Notenmaterial, um keine Umblätterhilfe zu brauchen) spielte Deutsch – seit 42 Jahren hochgeschätzter Gast in Graz! – glasklar, aber dennoch mit warmem Klang wunderbar. Eine einzige Anmerkung erlaube ich mir: es ist überzeugend, dass die Lieder möglichst nahtlos aneinander gefügt werden. Aber wenn man diesen Weg wählt, dann könnte die retardierende Ausgestaltung der Nachspiele der einzelnen Lieder unterbleiben.

Jonas Kaufmann präsentiert sich nicht als Podiums-und Bühnenstar, sondern als ernst in sich gekehrter Liedgestalter mit auffallend langem Atem und vorbildlicher Textgestaltung. Freilich sei nicht verschwiegen, dass die vor allem im ersten Teil fast völlige Zurücknahme der Stimme dazu führt, dass im Piano- und Pianissimo-Bereich Modulationsfähigkeit und Klangschönheit schmerzlich fehlen. Da herrscht guttural-fahle Deklamation vor (mit der Gefahr von Intonationstrübungen). Daneben stehen dann recht unvermittelte Forte-Akzente – etwa in „Die „Wetterfahne“. Wirklich schöne Legato-Bögen hört man dann erstmals am Ende von „Im Dorfe“ bei „was will ich unter den Schläfern säumen“ – da blüht die Stimme auf. Prächtig gelingen Stücke wie „Der stürmische Morgen“ und „Mut!“ – bewundernswert der lange Atem und die ruhige Gefasstheit im „Wirtshaus“. Jonas Kaufmann spricht immer wieder davon – zuletzt auch in einem Interview vor dem Grazer Konzert -, dass für ihn der Liedgesang die „Königsklasse des Singens“ sei. Auf der Opernbühne ist er zweifellos in der „Königsklasse“ angelangt – in der Liedgestaltung hat er noch ein Stück des Weges vor sich. Am Schluss gibt es stürmischen Beifall und Blumen der Fans – die begeisterten Bravorufe älterer Damen scheinen mir nicht so recht zur „Winterreise“ zu passen….

Es gibt natürlich keine Zugabe – was könnte nach dem Leiermann auch noch kommen?

Zum Schluss dann noch eine Überraschung für Jonas Kaufmann und das Publikum: Drei Repräsentanten von Sony Austria überreichen Jonas Kaufmann unter Blitzlichtgewitter und vor zum Podium drängenden Filmkameras eine goldene Schallplatte für seine Verdi-CD - die erste Edelmetall-Auszeichnung für den weltweit gefragten Tenorstar überhaupt, der dafür sehr sympathisch dankte und der Winterreise-CD einen ebensolchen Verkaufserfolg wünschte. 













 
 
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