Der Tagesspiegel, 03.04.2014
von Sybill Mahlke
 
Schubert: Winterreise, Berlin, Philharmonie, 1. April 2014
 
Kein Wort soll verloren sein
 
 
Er wird weltweit als Opernsänger gefeiert - doch der Tenor Jonas Kaufmann zeigt sich auch im Bereich des Kunstliedes ehrgeizig. Gemeinsam mit dem Pianisten Helmut Deutsch interpretiert er in der Philharmonie Schuberts „Winterreise“.

Die Klage, dass lauter Lohengrins auf dem Podium stehen und die „Winterreise“ singen, ist hundert Jahre alt. Sie begleitet die Rezeptionsgeschichte des Zyklus wie ein gefühlter Verlust, der meint: „Wo sind die Konzertsänger geblieben?“ Heute sind sie untrennbar mit ihrer Bühnenexistenz verbunden, wofür historisch nicht zuletzt Fischer-Dieskau steht, der es bis zu Falstaff und Lear gebracht hat.

Nun kommt Jonas Kaufmann, der Lohengrin par excellence, und fasziniert nach seiner „Schönen Müllerin“ mit einer sehr ernsten Annäherung an den „Zyklus schauerlicher Lieder“. Von Tenorissimo keine Spur, weil Kaufmann sich im Sinn Franz Schuberts als „sagender“ Sänger versteht.

Das geht zunächst, nach leicht belegtem Beginn, sogar auf Kosten der punktierten Linie: „Nun ist die Welt so trübe.“ Es ist eine Interpretation im Dienst der Dichtung Wilhelm Müllers, von der kein Wort verloren gehen soll, voller dynamischer Differenzierung, ein Abend der unpathetischen leisen Töne.

Die Gesangsführung wird vom Text bestimmt, und nach der CD bedeutet die Live-Aufführung in der Philharmonie ein Abenteuer, das die einsame Wanderschaft des lyrischen Ichs mit großer Behutsamkeit zeichnet. Die Motive des Eises, des Todes lassen den verlorenen Frühling ein, trügerisch, wie Kaufmann im „Lindenbaum“ andeutet: „Du fändest Ruhe dort.“ Ein einziges Fünkchen Ironie gönnt der Sänger sich auf seiner Reise, wenn er von zwei Mädchenaugen singt: „Da war’s gescheh’n um dich, Gesell!“

Die Partnerschaft mit Helmut Deutsch ist nicht zu unterschätzen, weil der Pianist mehr als Geborgenheit schenkt: das gemeinsame Durchatmen einer Pause („Die Post“), eine durchgehende Stimmung ziellosen Wanderns, die Wechsel vom vorherrschenden Moll nach Dur.

Dass der Zyklus Anstrengung bedeutet, wird nicht geleugnet. Aber in Phrasierung (Atemtechnik!) und seelischer Expression sind Wunder zu erleben. Schweigen herrscht nach Kaufmanns Crescendo auf dem letzten Ton des „Leiermann“, dann frenetischer Jubel, Begleiter und Sänger Arm in Arm.












 
 
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