Online Musik Magazin
Von Roberto Becker
 
Puccini: Manon Lescaut, Bayerische Staatsoper, München, 15. November 2014
 
Es muss nicht immer Anna sein
 
 
So hat man als Intendant hierzulande Erfolg und wird obendrein auch noch mit dem Titel "Opernhaus des Jahres" belohnt: Man nimmt Stücke, die das Publikum liebt (wie Giacomo Puccinis Manon Lescaut), bietet eine Starbesetzung auf, nach der sich die Melomanen, die Eventliebhaber und die Fans die Finger lecken (also in dem Falle Anna Netrebko und Jonas Kaufmann) und weicht auch bei der Regie nicht ins unverbindlich Gefällige aus. Man betraut also einen wie Hans Neuenfels, also den Lieblingsbuhmann der Traditionalisten oder vitalen Neudeuter bekannter Stoffe (was man ganz nach Geschmack und Neigung halten kann) damit, für das Sängerfest einen szenischen Rahmen zu zimmern, der, sagen wir mal, auf jeden Fall aufhorchen lässt. Die Treffer, die der Münchner Staatsopernintendant Nikolaus Bachler mit diesem Rezept - und natürlich mit seinem Dirigenten-Ass Kirill Petrenko als GMD im Ärmel - in der letzten Spielzeit gelungen sind, reichten jedenfalls beim aktuellen Kritiker-Ranking für den selten an die Großen gehenden Titel "Opernhaus des Jahres".

Bei einem auf Erfolg programmierten System kommt es aber auch darauf an, wie es mit etwaigen Störungen fertig wird. Also z.B. damit, dass ausgerechnet der weibliche Teil des Traumpaares kurz vor der Premiere hinschmeißt. So wie jetzt Anna Netrebko. In München habe es keinen Eklat gegeben, heißt es. Neuenfels kann sich ja bekanntlich schon mal im Ton vergreifen, wenn er bei der Arbeit in Rage gerät. Man sei trotz Trennung aber nicht böse aufeinander, heißt es weiter. Und wenn man jetzt, nach der Premiere, die Anlage der Manon sieht, dann findet sich kaum ein offensichtlicher Anhaltspunkt, der den Ausstieg rechtfertigen würde. Noch dazu, wenn man sich vor Augen führt, was die Netrebko schon so alles mitgemacht hat. Erinnert sei nur an die beiden Trovatore -Produktionen, in denen sie an der Seite von Palacido Domingo bei Philipp Stölzl in Berlin zur Comicfigur und dann bei Alvis Hermanis in Salzburg zur unscheinbaren Museumsangestellten wurde. Geschadet hat das ihrem Charisma auf der Bühne in beiden Fällen nicht.

Für die offiziell recht abwiegelnde Version aus München spricht immerhin, dass die Netrebko bei den Münchner Opernfestspielen im nächsten Sommer als Tatjana in Krysztof Warlikowskis Inszenierung von Eugen Onegin einsteigt. Was insofern für die Russin spricht, die ja auch daheim ein Superstar ist und da gerne mal vor Putin singt, als das Spiel dieser Inszenierung mit schwulen Konstellationen in ihrer alten Heimat mit ihren homophoben Wahnschüben keinen offiziellen Beifall finden würde.

Wie dem auch sei. München ist München und da kann Nikolaus Bachler mit Kristina Opolais (deren Mann der Dirigent von Neuenfels Ratten-Lohengrin in Bayreuth ist) die schon in London bewährte Manon aus dem Hut zaubern. Und die Lettin hat es eben drauf, sich in der knappen, verbleibenden Zeit mit Haut und Haaren auf das präzise auf die Protagonisten fixierte Konzept von Hans Neuenfels einzulassen und mit vokaler Eleganz und darstellerischer Emphase am Ende in den Armen ihres verzweifelt schluchzenden De Grieux zu sterben.

Die wasserlose amerikanische Einöde muss man sich dazu denken. Denn im vierten Akt kommt Stefan Mayers von einem Leuchtrahmen eingefasster, dunkler Bühnenkasten gänzlich ohne eine metaphorische Zugabe aus. Auch vorher ging es eher spartanisch zu. Ein prächtige Kutsche, mit der Geronte (von sonorer Statur: Roland Bracht) vorfährt, gab es immerhin. Dann ein Bett mit durchgestylten Andeutungen eines Salons und Regalen mit allerhand glitzerndem Schmuck auf einem Spielpodest. Und schließlich einen Steg zum Deportations-Schiff nach Amerika, in das die gesichtslosen verurteilten Frauen, bewacht von beklemmend modern und gefährlich wirkenden Bogenschützen, durch ein Riesenloch in der Wand verfrachtet werden. Mehr Ausstattung braucht's diesmal nicht für die Herz-Schmerz-Geschichte mit dem dick aufgetragenen und auf's Kino vorausweisenden Puccini-Sound. Aber nicht nur der klar, analytisch und ernsthaft auf den Grund des Stückes gehende Neuenfels und sein Team ersparen uns eine dick aufgetragene Übermalung dieser Geschichte vom Leiden an der Liebe (die Neuenfels in seinem eingeblendeten Kommentaren wohl gerne als eine des Kampfes ums Glück sehen will).

Die Kostüme, die Raumästhetik und der sparsame Einsatz einiger metaphorischer Versatzstücke erinnern durchaus an die Ästhetik von Neuenfels' Lohengrin-Inszenierung. Das funktioniert auch ähnlich gut in einer Mischung aus intellektueller Herausforderung und einer Melange aus musikalischer Verve und sängerfreundlicher Transparenz. Dabei vermeidet Alain Altingolu am Pult des Bayerischen Staatsorchesters cineastischen Größenwahn. Sein emotionales Aufdrehen zum Ende hin ist allerdings weder für den phantastischen Jonas Kaufmann in De Grieux-Hochform noch für seine Manon Kristina Opolais eine Hürde. Er verbindet durchweg den Schmelz seiner Stimme mit der Kraft für die leidenschaftlichen Ausbrüche, sie harmoniert in den Duetten und überzeugt darstellerisch und vokal, wenngleich man sich an der einen oder anderen Stelle doch Anna Netrebkos Leuchtkraft gewünscht hätte. Musikalisch rundet sich diese Aufführung auch durch die übrigen Protagonisten, aus denen vor allem Markus Eiche als Lescaut herausragt.

FAZIT

Die neue Münchner Manon Lescaut ist auch ohne den eigentlich vorgesehenen Superstar ein vokales Großereignis. Es ist der Abend des Jonas Kaufmann. Hans Neuenfels' klarsichtige Inszenierung konzentriert den Blick auf den Kern der Geschichte.














 
 
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