|
|
|
|
Die Welt, 16. November 2014 |
Von Manuel Brug |
|
Puccini: Manon Lescaut, Bayerische Staatsoper, München, 15. November 2014 |
|
Davor hätte Anna Netrebko nicht weglaufen müssen
|
|
Geld oder Liebe: Hans Neuenfels analysiert an der Bayerischen Staatsoper
Puccinis "Manon Lescaut" mit Jonas Kaufmann als kühle Fallstudie einer
Leidenschaft, als ziemlich moralisches Märchen.
Warum nur ist die
Anna aus dieser Produktion geflüchtet? War Hans Neuenfels' deutlich quasi
als italienisch-südliches Puccini-Pendant zu seinem teutonisch-nordischen
Bayreuther "Lohengrin" konzipierte "Manon Lescaut" an der Bayerischen
Staatsoper etwa zu intellektuell für eine russische Starsopranistin? Man mag
es nicht glauben. Da hat sich die Netrebko doch schon, ohne mit der
Mascarawimper zu zucken, auf Produktionen eingelassen, die viel wilder
waren, sie mehr forderten und sie weniger gut aussehen ließen.
Was
nun in München als großer Premierenskandal, als wohlmöglich gewagte
Primadonnendämmerung skandalgeifernd erwartet wurde, entpuppte sich am Ende
als ziemlich altväterlich brave, freilich klare, im Seziertischneonlicht
ausgestellte Untersuchung über den ewigen Antagonismus von Geld und Liebe.
Der für Anna Netrebko vielleicht gar keiner war, wie der düpierte Hans
Neuenfels mutmaßte.
Erst kommt das Geld, dann die Erkenntnis, dann
der Tod
Des Grieux ist seiner Manon maßlos verfallen, opfert ihr
Geld, Ehre, Land und Leben. Doch für sie spielt immer das Monetäre eine noch
lockendere Rolle. Den Wert der wahren Gefühle entdeckt sie erst bei ihrem
letzten Todesschluchzer.
Hans Neuenfels, von ein paar
Netrebko-Enttäuschten trotzig ausgebuht, inszeniert das jetzt mit dem ihn
schon aus Bayreuth vertrauten Jonas Kaufmann und Kristine Opolais ohne viel
Umschweife soghaft und folgerichtig in einem fast kahlen, grau-schwarz-weiß
gehaltenen Laborbühnenkasten, in dem die Probanden mitleidlos beobachtet
werden, auch wenn sie diesmal keine Ratten sind.
Der prächtig
klingende Chor (Einstudierung: Sören Eckhoff) sieht in seinen asymmetrisch
beschnittenen Rotperücken und silbrig ausgestopften Bürzeloverals als
herumwuselnde Einheitsmasse aus wie ein aufgeschreckt kommentierender Haufen
Federvieh. Domestiziert und in Schach gehalten wird er, wie Anfangs noch
Lulu, das schöne wilde Tier, von einem Zirkusdirektor (prächtig: Dean
Power), sonst als Student Enrico nur eine episodische, gleichwohl von
Puccini in seinem Opern-Drittling liebevoll tongepinselte Genrefigur.
Wie überhaupt alles Naturalistische außen vor bleibt. Während die an
Einfällen überquellende Partitur mit Schellenklingeln und
Wirtshausdurcheinander verwirrend gleichzeitig loslegt, von Alain Altinoglu
am Pult des Bayerischen Staatsorchesters mit kühlem Silberstift
strukturierend fein gezeichnet, gibt Neuenfels den brechtisch ausstellenden
Analytiker.
Frauen sind Ware, sind Objekt, Liebe ist Geschäft
Selten wurde so fies und mitleidlos deutlich, wie unverblümt es im alten
Roman des Abbé Prévost von 1731 wie auch im unter heftigen
Anfängergeburtsschmerzen von vier Librettisten (plus Puccini) verfertigten
Text aus dem Jahr 1893 um Frauen als Ware, Mädchen als Objekte und Liebe als
Geschäft geht.
Da laufen wieder Neuenfels' sehr persönliche, diesmal
fast entbehrliche Kommentarsätze über die Wände. Es gibt neben der
vogelartigen Chorhorde noch eine kleine Menagerie mit einem Storch und einem
werwolfartigen Tanzmeister (Ulrich Reß) im zweiten Akt, der sich für Manon
zum Affen macht: kleine, surreale Regieschlenkereien.
Mit Kostümen
von Andrea Schmidt-Futterer, die, weniger raffiniert, sehr deutlich an der
Bayreuther "Lohengrin"-Ästhetik von Reinhard von der Thannen angelehnt sind,
und die kaum ablenken von Neuenfels' eigentlichem Anliegen: der
Schamlosigkeit vorwiegend pekuniär gesteuerter Emotionsillusion, die nur Des
Grieux nicht mitmacht. Angeheizt vom gewissenlos-dubiosen Bruder (schwarzer
Dandy-Schönling mit Prachtbariton: Markus Eiche) und einem alten, geilen
Sugardaddy (Roland Bracht), lässt sich Manon sofort ein auf diesen
unbarmherzigen Warenkreislauf.
Aber auch Des Grieux kann eigentlich
seine Augen nicht verschließen vor der ihm gleich angebotenen austauschbaren
Masse williger Models ("Jugend ist euer Name, die Hoffnung ist unsere
Göttin", singt der Männerchor dazu). Die verhüllen in ihren grauen Uniformen
freilich gleich ihre Gesichter hinter Kapuzen, so, wie sie auch im dritten
Akt als auf das Deportationsschiff nach Amerika geschubste, identitätslose
Sünderinnen im grauen Kittel wieder auftauchen. Schönheit, so austausch- wie
ersetzbar.
Wo Puccini Atmosphäre beschwört, da zeigt Neuenfels fast
mitleidslos Prozesse, Abwicklungen, Mechaniken, immer grell ausgeleuchtet.
Statt eines Wirtshauses hat ihm Stefan Mayer drei transparente Rahmen
entworfen. Manons auch musikalisch Rokoko-Überfluss beschwörendes Boudoir
ist ein sachlich-stählernes Zimmer, wo auf Metallregalen harte
Brillantketten glänzen. Ewig ist sie hier ausgestellt, wird vorgeführt
beobachtet, von befrackten Madrigalisten oder Klerikern in Kardinallila.
Der Schiffsanleger in Le Havre erweist sich als Steg durch eine
zerfetzte Blechwand in das totale Nichts der "Wüste bei New Orleans", wo
dann nur noch Neonröhren an der Decke, als Bühnenrahmen und auf dem Boden
die beiden verlorenen Seelen bloßstellen, die hier ihre letzten Arien- und
Duettseufzer tun, bevor sie zum Sterben einfach bewegungslos liegen bleiben.
Hier freilich verdichtet sich jetzt der Klang des Orchesters, Altinoglu
heizt Bögen an, überspitzt die Dynamik, lässt Melodien blühen, wirft die
große Gefühlsmaschinerie an. Sehr gekonnt und überlegt ist das. Endlich aber
auch ereignet sich italienische Oper. Denn vorher ging es vor allem vokal
eher metallisch gleißend zu.
Die Leidenschaft klirrt
Von
Manons ersten Blick aus der von Männern gezogenen Kutsche sind diese beiden,
meist schwarz, mit ganz wenig Weiß gekleideten Menschen besonders unter
Beobachtung. Neuenfels zeigt ihr Sichnähern, Liebenlernen,
Miteinanderverklammertsein als Kausalkette, ohne Ablenkung und Staffage. Da
ist viel Aktion und zwischenmenschliche Gestik, aber da glüht auch ein
eisiges, selten wärmendes Feuer. Kristine Opolais, extra aus einer
Metropolitan-Opera-"Bohème" anstelle der Netrebko freigegeben, ist zum
dritten Mal eine Münchner Premiereneinspingerin und erweist sich erneut als
intensiv lodernde Sängerschauspielerin. Ihre klirrende Stimme ist nicht
eigentlich schön, auch nicht groß, der Liebreiz ist gemacht, die
Leidenschaft unverstellt. Das überwältigt dann doch.
So wie Jonas
Kaufmanns Virilität. Erst ist der erstaunt über das Angebot an Weiblichkeit,
ein nicht mehr junger Beau mit Graubart und Silberschläfen im Samtanzug. Wie
wegpoliert scheint sein Stimmbandschmelz, fast schmerzt die Härte seiner
hohen Töne, denen er freilich einen schmerzlich-resignativen Zug
beizumischen versteht. Das aber passt ideal zu Onkel Neuenfels' traurig
moralisierendem Märchen vom materialistischen Mädchen, das hier sehr
einleuchtend und stark bis zu seinem tristen Finale auserzählt wird. Und in
dem man schließlich Anna Netrebko nicht wirklich vermisste. In dem man
freilich ihre weiblich-dunkelglühenden Soprantöne gerne wärmend vernommen
hätte.
|
|
|
|
|
|