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nmz, 16.11.2014 |
Von Wolf-Dieter Peter |
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Puccini: Manon Lescaut, Bayerische Staatsoper, München, 15. November 2014 |
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Im Labor der Leidenschaften – Hans Neuenfels inszeniert erstmals Puccini in München
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Eigentlich sollte es ein schöner Abend werden – wie die vorher, als
Bumbry-Corelli in „Carmen“ sangen und Scotto-Bergonzi in „Traviata“… und
dann neben dem jungen Tenorstar diese „alt“ aussehende Manon Lescaut. Für
den Schlussakt in Louisianas Sandwüste waren große Planen über das
Arena-Halbrund gezogen, Manon wankte herein – und nach wenigen Minuten
erstarrten die 18.000 in der Arena di Verona.
Denn da war schrecklich
mitzuerleben, wie ein Mensch nicht in Belcanto-Schönheit starb, sondern
elendiglich krepierte. Die Künstlerin hatte mit Ärzten und Psychologen
einstudiert, wie tödliche Dehydrierung abläuft und von Puccini ja auch
komponiert ist: erst der Verlust normaler Bewegung; dann sprachliche
Behinderung (und damit der Abschied von Gesangsschönheit); Verlust der
Sehfähigkeit, dann des Hörens – schließlich des Tast- und Spürsinns – am
Ende nur noch Kälte und dann der Tod… Stille in der Arena, hörbares Weinen…
und dann schlug das blanke Entsetzen in befreiende Begeisterung um: Hunderte
stürmten die Bühne; die Künstler mussten von zusätzlich gerufener Polizei
auf Schleich- und Umwegen in Sicherheit gebracht werden. Der unwichtig
gewordene junge Tenor hieß übrigens Placido Domingo – und ich hatte 1970
tränenüberströmt die damals 60jährige Magda Olivero, diese einzigartige
„Callas im Schatten“, erlebt – ein Maßstab fürs Leben.
Derartiges
wäre von der neben Jonas Kaufmann in der Münchner „Star-Produktion“
angesetzten Anna Netrebko nicht zu erwarten gewesen – trotz Festspielpreisen
bis 243 Euro. Kristine Opolais war da schon mit ihrer Bühnenerscheinung die
glaubhaftere Manon und vor allem eine Sängerin, die bereit ist, sich auf
einen Hans Neuenfels und ein womöglich herausforderndes Regie-Konzept
einzulassen. Ihr gelang die aus Verwirrung schon erotisch aufblühende Manon
des Anfangs. Sie überzeugte als verwöhnt eitles “sexy beast“ im 2.Akt. Wenn
die Einspring-, Premieren- und „Netrebko-Fans-Überzeugens-Anspannung“
künftig durch den von keinem Buh getrübten Premierenjubel wegfällt, wird
auch Manons Absturz zur Kreatur, ihre Verschiffung als diebische Hure nach
New Orleans und ihr Tod wohl noch „kaputter“ und künstlerisch expressiver
gelingen. Jetzt fehlte noch die glutvolle Hingabe in die vokale „gran
espansione“. Die gelang Jonas Kaufmann nach einem etwas steifen, zu wenig
locker tändelnden „Tra voi, belle“ in mitten der ja austauschbaren, deshalb
gesichtslosen Schönen – im Ringen, im Flehen, im Enthusiasmus und in der
Verzweiflung Des Grieuxs eine derzeit konkurrenzlose Idealbesetzung. Dazu
noch mit Roland Bracht ein herrlich alt-lüsternder Bankier Geronte, ein
raffiniert zwielichtiger Lescaut von Markus Eiches elegantem Bariton und ein
rollendeckendes Nebenrollenensemble angeführt von dem Aufhören lassenden
Bariton Dean Power als Grieux-Freund Edmondo.
Sie alle und das
Bayerische Staatsorchester führte der in Paris geborene und ausgebildete
Alain Altinoglu hörbar weg von „Puccinis Früh-Verismo“ eher in Richtung
Massenet: durchweg sensibler Feinklang, nur im Intermezzo und in den Finali
mal schwelgerisches Aufmusizieren, sonst gute Tempoabstufungen mit klarer
Zeichengebung Richtung Bühne, vielleicht zu oft langsame, etwas breite
Tempi, dadurch aber sehr sängerfreundlich – wodurch die Begegnung Manon-Des
Grieux und ihre weitere Liebe zu Szenen von anrührender Intimität fern von
Puccinesker Vokalopulenz wurden.
Und damit überraschte auch Hans
Neuenfels. Von Stefan Mayer hatte er sich einen von Lichtstäben umrahmten,
schwarzen Laborraum zur stationsartigen Vivisektion der „Liebeskrankheit um
Manon Lescaut“ bauen lassen. Mit wenigen Accessoires wurden die Schauplätze
signalisiert. Von der Premieren-Society mit ihren vielen Botox-Masken prompt
mit Buh-Stürmen bestraft wurde er für seine erklärenden, halb ironischen
Texte auf dem Zwischenvorhang, hauptsächlich aber für seine Darstellung von
Gesellschaft und Lakaien: der Tanzmeister ein unförmiger Affe im Frack; die
heuchlerischen „Reichen und Schönen“ bei Geronte in pseudo-kirchlichem,
scharlachrotem Kardinalshabitus; grau gewandete Nebenfiguren und das „Volk“
in einer schwer verständlichen Mischung aus grauen Harlekin-Hosen,
Schweinchen-Look und rotem Exoten-Haar (Kostüme: Andrea Schmidt-Futterer) –
der Staatsopernchor dennoch bravourös.
Der sonst Psycho-Abgründe und
Human-Horror verstörend sichtbar machende Neuenfels zeigte aber diesmal –
altersmild? – den lebensbestimmenden Zauber der Liebe Manon-Des Grieux mit
anrührendem Feingefühl und unzerstörter Intimität. Da waren musikalische
Deutung, vokale und szenische Darstellung ganz im Einklang. All das gipfelte
in Neuenfels’ schönster Hinzuerfindung: als die inmitten von kalter Opulenz
unglückliche Manon mit „Per me tu lotti – für mich kämpfst du“ an den
Geliebten denkt, tritt sie aus dem Labor-Lichtrahmen, beschwört ihn vokal
herbei – und da tritt Des Grieux mit Phantommaske aus der Seitengasse auf
sie zu und wirft ihr drei schwarze Rosen vor die Füße… da war der
vermeintliche Regie-Berserker näher am Werk als viele „Werktreue“ – deshalb
die Regie eingeschlossen: tutti Bravi!
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