Opernglas 9/2013
J.-M. Wienecke
 
Verdi: Il trovatore, Bayerische Staatsoper, 27. Juni 2013
 
Il Trovatore
 
 
Sie zählte zu den am höchsten gehandelten Festspielpremieren des Sommers. Olivier Py verordnete Verdis düsterem Drama aus der Trilogia populare ein technisch immens aufwändiges, dabei rabenschwarz nihilistisches Ambiente: Auf der Bühne des Nationaltheaters herrschte bittere Endzeitstimmung in einem Umfeld des industriellen Aufschwungs, das mit der Entstehungszeit der Oper in Zusammenhang gebracht wurde. Azucena, sie bildet das Zentrum der unkonventionellen Inszenierung, leidet auch nach Jahren noch immer unter den Folgen ihrer verhängnisvollen Bluttat. Sie konnte den Mord und die für sie fatale Kindsverwechslung nie überwinden, verursacht stets neues Leid und zieht ihren Rachefeldzug gegen Graf Luna und dessen Herrschaft bis zur letzten Konsequenz durch. Py gab sich mit der eindimensionalen, vordergründigen Originalhandlung, so absurd sie auch erscheinen mag, allein nicht zufrieden. Er doppelte und vervielfachte den äußerlichen Rahmen durch imposante Nebenschauplätze und pantomimische Reflexionen (Bühne: Pierre-André Weitz). Diese ergänzenden, teils spektakulär illustrierten Einblicke in die Tiefen der Charaktere und ihrer Handlungsmotivationen führten das Publikum hart an die Grenzen der Aufnahmefähigkeit. Die permanent in Aktion befindliche Drehbühne erlaubte eine Vielfalt der Bilder, die förmlich erschlug und in der Konsequenz nicht nur auf Gegenliebe stieß. Lange war diese Oper nicht mehr an der Staatsoper zu sehen gewesen. Dennoch zeigte man mit dem neuen »Trovatore« eine deutlich glücklichere Hand als bei mancher vorausgegangenen Münchner Verdi-Produktion.

Alle Einwände, die man gegen die über das Ziel zuweilen leicht hinausschießende Regie geltend machen konnte, wurden von der mitreißenden musikalischen Einstudierung weggewischt. Seit Langem bekam man keinen vergleichbar emotional aufgewühlten wie technisch und stilistisch vorbildlichen Verdi-Gesang zu hören. Und nicht zuletzt das zupackende, auf Brio und die einfühlsame Begleitung der Sänger aufbauende Dirigat von Paolo Carignani setzte Maßstäbe. Das Bayerische Staatsorchester und der von Sören Eckhoff vorbildlich vorbereitete Staatsopernchor präsentierten sich in festspielreifer Form und machten das Verdi-Glück dieser Aufführungsserie perfekt. Im Zentrum der Produktion stand das gegenwärtige Münchner AllrounderTraum-Duo, bestehend aus den Publikumslieblingen Anja Harteros und Jonas Kaufmann.

Anja Harteros betörte als leidenschaftlich liebende Leonora mit der Brillanz und technischen Abgeklärtheit ihres wundervoll modulationsfähigen, hervorragend fokussierten Soprans. Wie selbstverständlich triumphierte sie in den dramatisch ausladenden Phrasen und Höhepunkten der Partie. Sie verstand es, die Stimme im nächsten Moment mit raffinierten Übergängen in schwebend innige Piani zurückzuführen und der Gesangslinie dank ihres Legatos dennoch Halt zu geben. Hinreißend gestaltet war das gleichsam schwebende, wie weltentrückt vorgetragene „Tacea la notte placida". Der Regiegedanke, sie als Versehrte und damit unbeschadet aller äußeren Einflüsse sogar blind Liebende zu zeichnen, führte allerdings ins Leere. Der darstellerische Einsatz der Künstlerin wurde unnötig beschränkt und kam dadurch zwangsläufig — trotz aller stimmlichen Autorität — etwas eindimensional über die Rampe. Das könnte vor allem dann fatale Folgen haben, wenn keine adäquate stimmliche Besetzung zur Verfügung steht. Harteros sang alle Zweifel an der Regie mühelos weg, berührte und begeisterte.

Selten erlebt man einen derart baritonal timbrierten, zugleich zu strahlender Tenor-Attacke fähigen Manrico wie Jonas Kaufmann. Er gab einen Kämpfer mit Saft und Kraft, befähigt zur sensiblen Zurücknahme seines reichlich gesegneten Materials, wenn es in der Gesangslinie dramaturgisch begründet Sinn machte. Kaufmann konnte sich am Premierenabend auf seine treffsicher gestreuten, strahlkräftigen Spitzentöne verlassen, gestaltete mit Inbrunst und ließ sich von der hohen Erwartungshaltung beim Klassiker der Stretta, auf die insgeheim alle warten, nicht schrecken: Auch bei „Di quella pira" war er voll auf der Höhe und ließ es sich nicht nehmen, dem Affen auch ein Stück weit Zucker zu geben. Das Haus tobte. Oper ist Leidenschaft und braucht das, findet darin ein Stück Lebenselixier.

Einer Entdeckung kam der exquisite Bariton von Alexey Markov gleich. Der junge Russe verfügt über ausgezeichnetes, substanzreiches stimmliches Potenzial, konnte mit fast tenoraler Höhe auftrumpfen und nahm das Publikum gleichsam im Sturm. Die ausgeprägte und verhängnisvolle Rivalität der beiden Männer, die ohne es zu wissen Brüder sind, erhielt so eine interessante, mutmaßlich zufällige Facette. Mit Kwangchul Youn hatte man für den Ferrando ein Bayreuther Bass-Schwergewicht gewählt. Er sollte zum Abschluss der Festspiele und Nagano-Abschied in München in seiner Paraderolle als Gurnemanz reüssieren, zeigte sich bei Verdi nicht minder versiert und legte dadurch schon zu Beginn der Oper die Messlatte für das Ensemble sehr hoch. Mit Elena Manistina, der von der Regie ins Zentrum gerückten Azucena, konnte man nicht rundherum glücklich werden. Sie verfügt über einen ausdrucksstarken Mezzo mit kräftigen Brusttönen und sicherer Höhe, fand aber nicht durchgängig zu jener stimmlichen Präsenz und Durchschlagskraft, die sie auf Augenhöhe und mit vergleichbarer emotionaler Dichte gegenüber ihren überragenden Mitstreitern hätte bestehen lassen können.












 
 
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