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OVB, 29.6.2013 |
VON MARKUS THIEL |
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Verdi: Il trovatore, Bayerische Staatsoper, 27. Juni 2013 |
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Oma ist immer dabei
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MÜNCHNER OPERNFESTSPIELE Entbehrliche Horrorshow und ein konkurrenzloses Traumpaar: Verdis „Troubadour“ im Münchner Nationaltheater |
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Eine Langzeitgarantie für Zweisamkeit? Gibt es wohl nicht. Vielleicht ein
Rezept: Schwarz und Weiß, Teufel und Weihwasser, vernünftig und ab durch die
Mitte, solche Gegensätze wirken ja ungemein magnetisch. Von daher haben
diese zwei – nicht nur Münchner, sondern seit der vokalkrisenbedingten
Trennung von Netrebko/ Villazón weltweit einziges Operntraumpaar – beste
Prognosen. Er: Hemd aufreißen, Stimmbandmuskeln spannen und raus mit dem
Ton. Sie: wohlüberlegt, kontrolliert, ein Gesang von herzinniglicher
Vernunft, bei dem immer der Seitenblick auf den Bühnenpartner mitschwingt.
Ach, Jonas.
Schon allein, dass Anja Harteros und Jonas Kaufmann also
zusammen auf der Bühne des Nationaltheaters stehen, ist Festival genug. Und
dass sie für ihre Rollendebüts (Elsa/ Lohengrin und nun Leonora/ Manrico)
die Bayerische Staatsoper erwählen, der Glücksfall. Heiß Begehrteres zur
Eröffnung der hiesigen Opernfestspiele wie hier mit der
„Troubadour“-Premiere gab’s selten. Und Aufschlussreicheres ebenfalls.
Zwei Entwürfe für Verdi-Gesang liefern die beiden. Auf zwei Wegen nähern
sie sich, die von entgegengesetzten Seiten ins Zentrum führen. Und gerade
bei diesem Stück wird das besonders ohrenfällig. Verdis „Troubadour“ braucht
nicht nur die vier besten Sänger der Welt, wie Caruso einst empfahl, sondern
für jede Rolle eigentlich zwei Interpreten. Belcanto-Finesse trifft sich da
mit dem heraufdämmernden Musikdrama. Und genau das erklärt, warum Anja
Harteros, Vorgängerinnen inklusive, eine schier konkurrenzlose Leonora
gelingt.
Nicht alle kleinen Noten der ersten Cabaletta mögen locker
getupft sein. Aber die weitgespannten Linien der Arie zuvor, das
weltumarmende Legato, das Sich-Aufschwingen und Sich-Weiten von Phrasen, die
dann nachdenklich verdämmern, das ist großes, gestisches Singen, erst recht
im späteren Verlauf der Partie. Erstaunlich, welch Dramatik Anja Harteros
ihrem kostbaren, immer etwas gutturalen Sopran abtrotzen kann, auch mit
welcher Attacke sie sich ins Duett mit Luna wirft – ein Triumph.
Kaufmann musste sich erst freiringen. Der erste Auftritt: kein lyrisches
Ständchen wie von Verdi notiert, sondern eine (zu) markige Behauptung. Dann
viel Dauer-Power, immer im oberen Dezibelbereich. Zwei Töne kratzen. Doch
diese Stimme verträgt das, mehr noch: Die erdige Tenorkraft, die viril
ausgestellten Töne, die immer mehr nach Maloche statt nach
Filigrantüftelarbeit klingen, das macht ihm keiner nach – und süchtig. Die
Arie nach der Pause dann eine Überraschung. Nicht nur, dass der Stretta-Hit
mit souveränem hohen C glückt, sondern auch, dass Kaufmann sich für den
langsamen Teil zurücknimmt, sehr auf Linie und Lyrik bedacht ist. Hier,
endlich, trifft sich Manrico mit seiner Leonora.
Die ist blind,
verwechselt also aus physischen Gründen ihre Verehrer. Und das ist die
einzige Sache an der Inszenierung von Olivier Py, die sich ein wenig
diskutieren ließe. Verdis Schlaglicht-Dramaturgie, die kaum lineare
Handlung, das lösen bei Py und Ausstatter Pierre-André Weitz schwere
Assoziationsanfälle aus. Am Wellblechaufbau drehen sich Räder wie im
Bergwerksdorf, es gibt Theater auf dem Theater, Hexenfesselungen,
Männeroberkörper mit Tierkopfmasken, die schwüle Moschuserotik verströmen.
Je nach Parteizugehörigkeit, ob Luna oder Manrico, werden die präzise und
robust singenden Chorherren als Business-Wesen arrangiert oder als Soldaten
fürs Flecktarn-Oratorium. Die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts trifft
sich mit diffuser Moderne und, wieder mal, Dr. Freud. Ständig wird ja im
„Troubadour“ von Vergangenem erzählt. Was bei Verdi schaurige
Vergegenwärtigung ist, provoziert Py zur simplen Verdoppelung mit blutigen
Säuglingen oder mit der alles auslösenden, nackten und stummen
Azucena-Mutter: Oma ist eben immer dabei.
Oft wird der Bühnenaufbau
ineinander verschoben, für die ständig aktive Drehbühne wünscht man sich
einen gnädigen Kurzschluss. In der Pause wird Kaufmann als Magie-Einlage
noch kurz zersägt, die Stimmbänder hat’s gottlob nicht erwischt. Eine
Albtraum-Horrorshow, die professionell flutscht und für die geschätzte 85
Prozent Probenzeit investiert wurden. Festspielhaft ist dieser Aufwand,
schon unterhaltlich, irgendwie kurzweilig – und doch so entbehrlich. Alles
Augenbeschäftigungsmaßnahme, die eines ausblendet: Nicht an Albträumen
leiden alle Figuren, sondern an realer, unerfüllbarer Liebe.
Doch für
die Zweisamkeit bleibt’s bei einer Beschwörung der Uraufführungsregie.
Leerlauf-Pathos trifft sich mit Colliergriff und Rampensingen. Und wenn Anja
Harteros den nahenden Tod Leonoras so intensiv spielt, dann ist dies wohl
Eigeninitiative.
Alexey Markov, ein imponierender Luna mit Hang zur
Bariton-Versteifung, bekommt dieses Alleingelassensein weniger. Kwangchul
Youn veredelt den Ferrando mit grobkörniger Bassgewalt. Und Elena Manistina
(Azucena) verlässt sich ebenfalls auf ihren Gesang. Der aber lässt
aufhorchen. Wo Kolleginnen gern die Mezzo-Orgel anwerfen, drückt die Russin
nie drauf, beweist, dass sich auch mit schulmäßiger Stilistik das
Vokalporträt einer Zerrissenen entwerfen lässt.
Auch Paolo Carignani
ist wild entschlossen zur Differenzierung. Den großen Aufriss will er und
zugleich Mikrokosmisches. Das Staatsorchester setzt das – trotz Carignanis
unkonventioneller Schlagtechnik – bereitwillig um. Humtata und krachende
Dramatik gestattet er an ausgewählten Stellen. Vieles ist auch arg laut. Was
es aber sonst noch zu hören gibt: sorgsam zelebrierte Holzbläser-Episoden
und Streicher-Korrespondenzen, nachdenklich abgebremste Phrasen, ein stetes,
dunkles Glimmen, keine Schwarz-Neonlicht-Malerei wie jenseits des Grabens.
Ovationen für die Sänger, sehr geteilte Meinung bei Olivier Py. Im
kommenden Dezember schlagen Anja Harteros und Jonas Kaufmann das nächste
Kapitel ihrer Beziehung auf. Verdis „Macht des Schicksals“, im Regiestuhl
Martin Kušej. Das Traumpaar hätte auch einmal einen echten Opernmann
verdient
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