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Die Welt, 28.06.2013 |
Manuel Brug |
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Verdi: Il trovatore, Bayerische Staatsoper, 27. Juni 2013 |
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Gothic Horror Verdi Show mit überirdischem Gesang
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Ein grandioser "Troubadour" mit Jonas Kaufmann eröffnet die Münchner
Opernfestspiele und zeigt den Erfolg und das Geheimnis Giuseppe Verdis, das
ihn vom gleichaltrigen Richard Wagner unterscheidet.
Unmögliches wird sofort erledigt, Wunder dauern etwas länger. Das Wunder
dieser Münchner "Il trovatore"-Premiere ereignet sich zu Beginn des vierten
Teils. Im gleißenden Neonlicht steht die hier blinde Edelfrau Leonora, die
zwischendurch ihr Heil im Kloster gesucht hat, vor dem Gefängnis, in dem ihr
geliebter Troubadour Manrico von seinem Bruder (das weiß nur die Ziehmutter)
Graf Luna eingekerkert wurde. Ein gesichtslos graues Geschöpf begleitet sie,
es hat den Giftkelch in der Hand, aus dem sie später trinken wird, um sich
den irdischen Armen des sie ebenfalls liebenden Luna zu entziehen. So viel
Melodram, so viel Blut, Tränen, Schmerz; was jetzt noch gesteigert und
sublimiert wird durch die Musik.
Die Sopranistin Anja Harteros singt
ihre zweite große Arie an diesem Abend, "D'Amor sull'ali rosee". Die schon
unmöglich schwere erste, gleich zu Anfang, hat sie noch ein wenig
verschleppt, vorsichtig ausgestellt, sich herangetastet an das Klanggerüst.
Doch jetzt, "Eingehüllt in das Dunkel der Nacht", auch symbolisiert durch
die kostbar schwarze Spitze ihres Kleides, lässt sie "auf den rosigen
Flügeln der Liebe" ihre tröstenden Seufzer zum Geliebten davonschweben.
Und diese Ausnahmesängerin tröstet gleichzeitig ein ganzes Haus. Durch
die sanft schwingende Schönheit ihrer klaren, leicht verhangenen Stimme,
durch die sicher gesetzten Spitzennoten, durch die feinen Triller der Kadenz
und einen im Diminuendo elegisch erlöschenden, elegant ersterbenden
Schlusston. So geht sie schon jetzt ein in eine bessere Pianissimo-Welt,
auch wenn sie noch ein wenig länger auf der Bühne leben, lieben, singen und
zu Tode kommen muss.
Man muss nicht denken, um hier mitleiden
zu können
Das ist das Geheimnis und der anhaltende Erfolg
Giuseppe Verdis, der ihn so vollkommen vom gleichaltrigen Richard Wagner
unterscheidet: diese mysteriöse Kunst der Katharsis, durch eine einfache,
hier von einer Flöte dolcissimo und scheinbar simplen Streicherfiguren
begleiteten Melodie zu rühren. Man muss nicht denken, um hier mitleiden zu
können. Mag auch um Leonora herum das Dasein in Krieg und Leid versinken, in
diesen Arienminuten steht es still, werden alle davongetragen auf eben
diesen "rosigen Flügeln der Liebe".
Doch auch sonst gibt es bei
dieser glamourösen, gleichzeitig düsteren Eröffnung der Münchner
Opernfestspiele an der Bayerischen Staatsoper viel Bemerkenswertes zu
erleben. Schließlich singt nicht nur die Harteros als einer der weltbesten
Spintosoprane mit dieser Leonora eine der zentralen Rollen ihres Repertoires
zum ersten Mal szenisch. Jonas Kaufmann, längst der Brad Pitt unter den
Tenören, bisweilen aber auch von dessen suchender Unverbindlichkeit, gibt
zudem sein Debüt in einer der Paradepartien seines Fachs.
Er macht
ebenfalls nicht nur seine Vokalsache vorzüglich. Seine bisweilen gaumige
Tongebung lässt ihm neuerlich manches Piano in der Kehle verschmachten, aber
wie die Harteros, mit der er als Protagonistenpaar inzwischen wie Topf und
Deckel wirkt, verwandelt Kaufmann sofort jede Klangnuance traumsicher in
emotionalen Ausdruck. Dabei wirkt die Stimme immer männlich, kraftvoll,
trotzdem schlank und biegsam, kommt selbst in der wiederholten Stretta nicht
unter Druck; obwohl das hohe C (war es denn eins?) in den Chorwogen fast
untergeht.
Zwei Russen mit schlechtem Italienisch
Die anderen drei wichtigen Sänger dieses vokal so beglückenden Abends
stehen vor so viel Meisterschaft zurück, trotzdem runden sie sich zum
fünfblättrigen Kleeblatt. Kwangchul Youn als nur episodenhaft auftauchender
Ferrando, der eine der vielen Vorgeschichten des wirren Geschehens zu
erzählen hat, weitet das übliche "Il trovatore"-Quartett zum Quintett.
Die etwas leichte Mezzosopranistin Elena Manistina (Azucena) und der
gleichförmige Luna (Alexey Markov) sind beides Russen, was man leider am
schlechten Italienisch hört. Kann man an so was in mehreren Probenwochen
nicht besser feilen? Denn beider Material ist außergewöhnlich, gegenüber dem
deutschen Duo, den zwei vollkommen angepassten Opernitalienern, fallen sie
ab.
Im Orchestergraben müht sich Paolo Cariniani um einen so
feinsinnigen wie sängerfreundlichen "Troubadour"-Klangmantel, der ohne die
oft nur knalligen Humtata-Begleitmuster auskommen möchte. Was zur Folge hat,
dass hier ein kontrasthartes, auch das Sforzato-Scharfe aufweisendes Werk zu
sehr mit Samthandschuhen angefasst wird. Etwas mehr Jahrmarktslärm und
Blechrobustheit darf es schon sein. Die Partitur hält es nicht nur aus, sie
braucht das.
Gothic Horror Verdi Show
Dann
nämlich hätte vielleicht auch die von Olivier Py auf die heiß laufende
Drehbühne gesetzte Gothic Horror Verdi Show etwas an Selbstverliebtheit
verloren. Der viel beschäftigte Regisseur, der erst zum zweiten Mal an einem
deutschen Opernhaus arbeitet, präsentiert sein inzwischen sattsam bekanntes
Bilderarsenal: Nackte und Ungeheuer, Oper als romantische Symbolparade vor
dem Räderwerk der beginnenden Industrialisierung.
Er bleibt Theater
im Theater. Mit der untoten, nabelschnurbehängten Großmutter, die als
unschuldig Gemordete das Geschehen verursacht, mit ihrer sie rächenden
Tochter Azucena als Zirkusdirektorin, die in der Pause sogar den Tenor
zersägt, mit angedeutetem Inzest, einem brennenden Kreuz und einer wilden
Soldateska.
Doch dieses opulente, freilich ziellose Ringelreihen
bleibt ohne Konsequenz und unverbindlich. Letztlich lässt es die Sänger an
der Rampe ihr Ding machen. Da sie dies (genauso wie der hochpräsente Chor)
mit Größe und Grandezza vollführen, bleibt der eindrückliche Abend, in
Deutschland selten genug, einer des grandiosen Gesangs. Bei Verdi generell
und bei dieser Oper im Besonderen, nicht das Schlechteste. Wenn man es kann.
So wie im Münchner Nationaltheater.
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