Opernglas, Februar 2014
J.-M. Wienecke
 
Verdi: La forza del destino, München, 22. Dezember 2013
 
La forza del destino
 
Foto: Neder

Schlägt sie erst einmal richtig zu, ist ohnehin alles zu spät: Die Macht des Schicksals verbreitet ihre Schrecken dann geradezu hemmungslos. Francesco Maria Piaves verworrene Räuberpistole um die verlorene Ehre der Familie Calatrava darf dafür geradezu als Musterbeispiel gelten. Vor unglaubwürdigen Zufällen nur so strotzend, bildet sie trotz aller Mängel des Librettos die Grundlage für eine der musikalisch reichhaltigsten Verdi-Opern der mittleren Schaffensperiode.

Regisseur Martin Kušej, den die Münchner zumindest in der Oper für seine meist radikalen Neudeutungen nicht übermäßig lieben, stülpte der Familientragödie einen religionskritischen Ansatz über, der auf den ersten Blick nur bedingt zu passen schien. Im Laufe des Abends ging dieses Konzept bemerkenswert gut auf, indem es die irritierenden, kriegsverherrlichenden Szenen des Dramas mit den fatalen Folgen der zumeist aus religiösem Fanatismus resultierenden Schrecken des internationalen Terrorismus konfrontierte und damit eine beklemmende dramaturgische Dichte erzeugte.

Martin Zehetgruber steuerte kongeniale Raumlösungen bei. Hier die nüchterne Sachlichkeit im katholisch strengen, mafiös geführten Hause Calatrava, dort die ernüchternde Bilanz der desaströsen geschichtlichen Erfahrungen aus den Ereignissen um 9/11, Abu Ghraib und Guantanamo. Ovationen waren für diese provokante „Draufsicht", die sich imposant in dem zeitweise um 90 Grad gekippten Bühnenraum spiegelte, kaum zu erwarten. Zumal man ein Kruzifix, sei es auch aus tiefer Verbitterung über die verheerenden Schicksalsschläge, mit der das Werk endet, bis heute in Bayern nicht mal eben respektlos in die Trümmer der eigenen gescheiterten Existenz wirft. Kušejs Team erntete neben begeisterter Zustimmung erwartungsgemäß auch demonstrativen Widerspruch. Bei einer fairen Auseinandersetzung mit dem übergreifenden Anspruch der Regie hätte das Urteil gleichwohl milder ausfallen müssen, waren doch in jedem Fall eine exzellente Personenführung und Momente von knisternder Spannung zu konstatieren, die schlichtweg unter die Haut gingen.

Kritisch zeigte sich das Publikum auch gegenüber dem Dirigenten Asher Fisch. Lag es daran, dass dieser zuvorderst für gediegenes Repertoire steht, weniger aber elitären Glamour verkörpert? Die »Forza« gilt schon der reißerischen Ouvertüre wegen als Dirigentenstück par excellence. Da reichte es offensichtlich nicht, die Partitur sauber zu erarbeiten, auf Klangbalance und gesicherte Abläufe zu achten, das klangprächtig und präzise aufspielende Bayerische Staatsorchester zu engagiertem Musizieren zu animieren und dem Sangespersonal ein einfühlsamer Begleiter zu sein. Fisch fehlte das entscheidende Quäntchen an prägender Persönlichkeit, welches man an einem derart im Mittelpunkt des Interesses stehenden Premierenabend an einem ersten Haus wie selbstverständlich erwartet.

Im Mittelpunkt der Ovationen standen so die Sänger: die Leonora von Anja Harteros, die bei ihrem jüngsten Rollendebüt einmal mehr mit mustergültigem Verdi-Gesang begeisterte, mit berührend schwebenden Piani, weit ausschwingendem Legato, perfekten Höhen und dramatischer Inbrunst. Exemplarisch zu bewundern in der großartig gestalteten „Pace"-Arie des vorletzten Bildes, in der sie alle genannten Trümpfe voll zur Geltung brachte. Im Zusammenspiel mit Jonas Kaufmann ist zwischenzeitlich ein Münchner „Traumpaar" herangereift. Der deutsche Startenor und gebürtige Münchner braucht keinen Vergleich zu scheuen, überzeugte auch in dieser anspruchsvollen Spinto-Partie mit einer zwar sehr individuellen, im Ergebnis mitreißenden stimmgestalterischen Gesamtleistung, die ebenso durch ihre vokale Differenzierung wie durch den ihm eigenen draufgängerischen Volleinsatz bestach. Das Verdi-Glück wäre schon hier vollkommen gewesen, hätte nicht Ludovic Tézier als fanatisch verbohrter Hüter der Ehre der Calatravas mit kaum minder beeindruckender Bariton-Pracht und großer Spielfreude noch „eins draufgesetzt". Er konnte bravourös mithalten, wodurch sich die reißerisch angelegten Szenen zwischen Alvaro und Carlo zwangsläufig zu Höhepunkten des langen, aber kurzweiligen Abends entwickelten, der mit jeder Szene an Intensität gewann. Ausschlaggebend dafür war auch der durchweg hoch motivierte Einsatz des gesamten Ensembles, nicht zuletzt des unter der bewährten Leitung von Sören Eckhoff prächtig singenden Staatsopernchores.

Gleich in Doppelfunktion war der Prachtbass von Vitalij Kowaljow zu erleben, der durch einen dramaturgischen Kunstgriff der Regie neben dem übermächtigen Vater Calatrava auch den Padre Guardiano sang: Das patriarchale Prinzip der übermächtigen Kirche(n) spiegelt sich in Kušejs Konzeption von Beginn an in der strikten Familienraison des Marchese wider. Aus diesem alles beherrschenden „System" gibt es letztlich kein Entrinnen, es wird zum entscheidenden Element des unabwendbaren Schicksals, das alle teilen.

Ideal besetzt und erfreulicherweise ohne die sonst üblichen Kürzungen konnte Renato Girolami mit sehr präsent geführtem, geschmeidigem Bassbariton einen eindringlich bissigen Fra Melitone gestalten. Nadia Krasteva gab die erotisch prall angelegte, insgesamt etwas zu plakativ gezeichnete und in der Sopranhöhe mitunter leicht angestrengt klingende Preziosilla.













 
 
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