Merkur, 23.12.13
VON MARKUS THIEL
 
Verdi: La forza del destino, München, 22. Dezember 2013
 
Es ist schon ein Kreuz
 
 
Die Sache mit dem gelösten Schuss wird Giuseppe Verdi immer anhängen. Schicksal? „Macht des blöden Zufalls“, das wäre schon der bessere Titel für seine „La forza del destino“. Und da steht Alvaro nun, der Langhaar-Beau in Ledersakko und knackig eng sitzender Jeans: den Schwiegervater in spe gerade versehentlich abgeknallt und auf Geheiß des Regisseurs bedroht von drei Mafiosi, die ihre Waffen auf ihn richten. Die sofortige Hinrichtung – auf die hätte jeder gewettet – bleibt jedoch aus. Alvaro darf fliehen, einfach, weil ja noch drei Stunden Musik kommen. Alarmstufe Rot für die Logik-Polizei, es ist nicht das letzte Mal an diesem Abend. Bayerische Staatsoper und Verdi-Regie, das sind zwei Dinge, die weiterhin nicht zusammenpassen. Ein Naturgesetz, die Ära Sir Peter Jonas eingeschlossen.

Martin Kušej, der Residenztheater-Chef von nebenan, hat offenbar viel Zeit. Aber doch nicht so viel, dass er eine leidlich durchdachte Premiere für seinen Intendantenfreund Nikolaus Bachler abliefern kann. Die Hölle (Kušejs Kindheitstrauma?) sind die Sechzigerjahre: Spießer-Dinner bei Calatravas im Furnierholz-Salon und vor bauschenden Stores. Eine züchtige Tochter mit Rebellenfreund, der von Papa geächtet wird, sehnt sich nach Befreiung, landet in einer Sekte und muss am Ende ihr „Pace, pace“ einem riesigen Kreuzhaufen entsteigend singen.

Kušej versucht gar nicht erst, das auseinanderstrebende Opus zusammenzuzwingen. Krieg und Kreuz, so signalisiert er immerhin, sind beides keine Lösungen. Es gibt große Bilder von Martin Zehetgruber und Feldgraukostüme, die Heidi Hackl sorgsam mit Kunstblut bespritzt hat. Eine aufgerissene Rückwand ist Ergebnis einer Detonation. Einmal ist der Boden um 90 Grad in die Vertikale gekehrt, Statisten zeigen Fassadenlauf à la Spiderman, während die Sänger ihre Arien mit Rampentheater verbringen.

Weil Anja Harteros – zu Recht – keine Lust auf eine aggressive Sektentaufe im Wasserbassin hatte, fällt kurz ein Zwischenvorhang. Ein Leonora-Double lässt die Prozedur über sich ergehen, geht ins Hintergrunddunkel, aus dem die (trocken geföhnte?) Original-Leonora wieder heraustritt. Die Schlachtenmusik wird ans Statistenheer delegiert: Krieg ist offenbar, wenn alles im Rotlicht von rechts nach links läuft. Am, auf und unterm Dinner-Tisch vom Anfang wird vieles verhandelt, am Schluss ist Leonora dort samt Bruder tot zusammengesunken. Als ihre Vision, so Kušej im Vorfeld, wolle er alles schildern. Eine Schutzbehauptung?

In zwei, drei intimen Szenen hat der Abend schon Spannung. Doch dass hier ein Schauspielregisseur am Verdi-Werk war, sieht man selten. Der Horror bewegt sich in Kušejs Tableau-Theater zwischen Behauptung und Effekt. Krieg, Schweiß und Blut mutieren zum Schauer-Dekor. Und das bei einer weltweit einmaligen Sängerriege, die all dies ohnehin weit hinter sich zurücklässt, sobald sie den Mund aufmacht. Dass der Alvaro harte Tenor-Maloche ist, hört man Jonas Kaufmann an. Sobald er die Bühne betritt, ist Intensität da, nicht nur, weil der Standbein-Spielbein-Macho ihm steht. Kaufmann riskiert (etwas verpresste) Lyrismen, singt weite Teile der Partie auf Angriff, treibt seine Stimme dabei an den Anschlag. Wirkungsvoll ist das, applausheischend – und auch folgenreich, ein, zwei Kratzer verraten es.

Ähnliche Dezibelwerte erreicht Ludovic Tézier als Carlo, jedoch müheloser. Imposant, wie er seine Töne mit Bariton-Strahl in den Raum projiziert, ein graues Gleißen, das gut zur bösen Bruderrolle passt. Und hat man schon mal einen solchen Ausnahmebassisten wie Vitalij Kowaljow, dann wird der Marchese und der Padre Guardiano zur Doppelrolle: Leonora hat wohl einen Vaterkomplex. Renato Girolami bietet als Fra Melitone robuste Buffo-Qualität. Und schön wäre es, wenn ein Regisseur in Nadia Krasteva einmal etwas anderes als die Dame von der Ingolstädter Straße sehen würde, sängerisch fällt sie deutlich gegen den Rest ab.

Doch alles überstrahlt wird ohnehin von ihr. Anja Harteros hat in der „Forza“-Leonora ihre bislang beste Partie gefunden und schließt hier zu großen Vorgängerinnen wie Leontyne Price und Julia Varady auf. Dabei nähert sie sich der Rolle ja von der anderen Seite: eine Lyrische, die ihre Stimme mittlerweile imponierend weiten kann. Dramatik, das signalisiert die Harteros an viele andere Kollegen, ist vor allem eines: Intelligenzsache. Die großen Töne sind an diesem Abend viel stabiler, unangestrengter als im vergangenen Sommer bei der „Troubadour“-Leonora. Auch in solchen Passagen erzielt sie nun jene überwältigende Wirkung, die sonst von ihrem Engels-Piano ausgehen. Und auch etwas anderes führt Anja Harteros vor: Gestaltung, Durchdringung, Reaktion auf andere, Gesten, Dosierung von vokalen Mitteln, all das speist sich aus Text- und Phrasenreflexion. Von außen kann das nicht aufgepfropft und auch nicht, der Abend beweist es, zerstört werden. Sogar wenn im Graben ein Kapellmeister steht, der Hausmannskost serviert.

Verdi, der hat bei Asher Fisch eigentlich nur zwei Dimensionen: laut und langsam. Erstaunlich wie das sichtbare Temperament dieses Dirigenten sich kaum in der Interpretation niederschlägt, wie hier Körpersprache ins Leere läuft. Einige Buhs für ihn und Kušej, Ovationen für die Solisten. Unbefriedigende Verdi-Dirigate im Nationaltheater, auch so ein Naturgesetz.













 
 
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