Nürnberger Nachrichten, 24.12.2013
Hannes S. Macher
 
Verdi: La forza del destino, München, 22. Dezember 2013
 
Psychokrimi in Prachtbesetzung
 
Giuseppe Verdis "La forza del destino" als mitreißendes Musikdrama in München
 
Kurz vor Weihnachten präsentiert die Bayerische Staatsoper eine Neuinszenierung von Verdis „La forza del destino" (Die Macht des Schicksals). Regisseur Martin Kusej rechnet wieder einmal mit der Kirche ab und vermiest dem Publikum die Vorfreude aufs Fest. Heftige Buhs waren — trotz Starbesetzung mit Anja Harteros und Jonas Kaufmann (Münchens neuem Gesangstraumpaar) — die Folge.

Zum Nachtmahl hat sich die Familie des Marchese di Calatrava in dem wenig Adelsglanz verströmenden Speisezimmer aus den 1950er Jahren versammelt (Bühnenbild: Martin Zehetgruber). Unheil drohend wehen die bodenlangen weißen Vorhänge im Nachtwind, während in der Ouvertüre als Kontrast zu dieser gespenstischen Szene jeweils einige Takte der schönsten Melodien dieser Verdi-Oper anklingen.

Von innerer Unruhe getrieben und in fiebriger Erwartung huscht Leonora immer wieder ans Fenster, nach Don Alvaro alias Jonas Kaufmann Ausschau haltend, mit dem sie aus dieser spießig-familiären Enge entfliehen will, zumal Leonoras Vater den Kreolen als Liebhaber seiner Tochter als nicht ebenbürtig ansieht und ihr den Umgang mit ihm verbietet.

Alvaro, der Womanizer

Doch nach dem Nachtgebet taucht er zunächst schemenhaft, dann leibhaftig hinter dem Batist-Vorhang auf. Ein Womanizer im Designer-Jeansanzug wie aus dem Hallodri-Bilderbuch: groß, schlank, schlaksig, schulterlanges schwarzes Haar, lässig im Auftreten und feurig bei den Liebesschwüren. Klar, dass Leonoras Vater seine Tochter vor diesem Draufgänger bewahren will, bis ihn aus Versehen ein Schuss aus Alvaros Pistole niederstreckt.

Das Schicksal nimmt seinen Lauf: Leonora findet unter dem Schutz eines Klosters auf einer einsamen Klause im Gebirg' den Weg zu Gott, während ihr Bruder Carlo auf Rache sinnt. Verwicklungen zuhauf, bis Carlo das freiwillig gewählte Exil seiner Schwester ausfindig gemacht hat und sie ersticht, um die Familienehre wieder herzustellen, und Alvaro über das blutige Ende seiner großen Liebe verzweifelt.

Doppelmoral von Adel und Klerus

Ebenso hochdramatisch wie elegisch hat Martin Kusej, Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels im Residenztheater, diese 1862 in St. Petersburg uraufgeführte Verdi-Oper (in der Mailänder Fassung von 1869) im benachbarten Münchner Nationaltheater nun inszeniert. Doch nicht als Schmachtfetzen, sondern als ungemein spannenden Psychokrimi, der nicht nur die Seelenregungen der Protagonisten grandios ausleuchtet, sondern auch die Doppelmoral von Adel und Klerus sowie die Triebhaftigkeit einer in Suff und Sex Erfüllung suchenden Soldateska in krass realistischen Bildern visualisiert: shocking für einen Teil des illustren Premierenpublikums. Kräftige Buhs für die deftige Abrechnung mit dem Katholizismus inklusive.

Brillant musiziert wieder einmal das Bayerische Staatsorchester unter der Leitung des in Jerusalem geborenen Asher Fisch, der Verdis teils expressiven, teils melancholischen Melodien mit Verve und Sensibilität, mit Dynamik und Empfindsamkeit aus dem Orchestergraben strömen ließ. Ein musikalisches Wechselbad, das rundum faszinierte. Doch schwärmen lässt sich auch und vor allem über die Prachtbesetzung, die diese Neuinszenierung zu einem Höhepunkt in dem zu Ende gehenden Verdi-Jahr werden ließ und das sich auch die italienische Rundfunkanstalt RAI nicht entgehen ließ: Großartig Ludovic Tézier mit warmem Bariton als rachelüsterner Don Carlo, Vitalij Kowaljows mit wohl tönendem Bass in der Doppelpartie des Marchese di Calatrava und des Packe Guardiano, Renato Girolami als Fra Melitone mit gepflegtem Spielbariton und Nadia Krasteva als Zigeunerin Preziosilla mit feurigem Mezzosopran. Imposant auch der Chor unter der Leitung von Sören Eckhoff.

Immer wieder frenetischer Zwischenapplaus und dann ovationsartiger Schlussjubel nach vier Stunden Opernglück für das neue Münchner Traumpaar Anja Harteros als Leonora und Jonas Kaufmann als Alvaro.

Voller Inbrunst

Geschmeidiger, hinreißender Belcanto des hinschmelzend singenden und glaubwürdig den jugendlichen Lover verkörpernden Startenors. Und wunderschön ergreifend, wenn Anja Harteros - wie eine Somnambule das Kruzifix voll religiöser Innigkeit umarmend - mit ihrem ebenso voluminösen wie strahlenden Sopran die berühmte „Pace"-Arie voller Inbrunst zu Gehör bringt. Einfach himmlisch. Zum Niederknien. Auch wenn das der aus Kärnten stammende Regisseur so gar nicht gern hat - jedenfalls nicht auf Kirchenbänken...














 
 
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