Opernnetz
Helmut Christian Mayer
 
Puccini, La fanciulla del West, Wiener Staatsoper, 5. Oktober 2013
 
Happy End im Regenbogen-Ballon
 
 
Als seine beste Oper bezeichnete der Komponist sein Werk selbst. Auch Anton Webern konnte sich dafür begeistern. Und es ist tatsächlich auffallend, dass La fanciulla del West oder Das Mädchen aus dem goldenen Westen, so der deutsche Titel, wegen seiner kühnen Harmonik ungewohnt modern, prachtvoll zerklüftet und somit ganz anders klingt, als die Vorgängeropern wie Manon Lescaut, La Bohème oder Madama Butterfly. Zudem hat Giacomo Puccini dem 1910 an der Metropolitan Opera New York höchst erfolgreich uraufgeführten Stück – mit Arturo Toscanini am Pult und Enrico Caruso als Dick Johnson - bis auf eine Tenorarie Che’ella mi creda keine Ohrwürmer geschenkt. Effektvolle Wirkung und Dramatik gehen hier vor Melodienschönheit. Und trotzdem hat das im Vergleich zu anderen Opern des großen italienischen Opernkomponisten seltener aufgeführte Musikdrama eine ungemein reiche, raffinierte Klangmixtur, viel an harmonischer Weitläufigkeit zu bieten, mit impressionistischen Anklängen und einigen amerikanischen, folkloristischen Westernmelodien.

Nach mehr als 25 Jahren Pause hat sich jetzt die Wiener Staatsoper entschlossen, diese Rarität, die immer im Schatten der anderen Puccini-Opernhits stand, wieder aufzuführen. Dabei wählte man mit Marco Arturo Marelli eine sichere Bank. Denn dieser Regisseur, der auch, so wie immer, Ausstatter in Personalunion ist, gilt nicht unbedingt als experimentierfreudig, sondern ist bekannt für seine ästhetischen und soliden Inszenierungen. Hart an der Kitschgrenze schrammt er jedoch mit der Idee vorbei, die beiden Liebenden zum Finale mit einem Ballon, der noch dazu aus lauter Regenbogenfarben besteht, wegschweben zu lassen. Ansonsten versetzt er das kalifornische Goldgräbercamp um 1850 mit seinen Container-Blechhütten auf zwei Ebenen in die Gegenwart. Minnies Saloon ist eigentlich nur mehr ein moderner Würstelstand. Ihr Heim ist ein bescheidener Wohnwagen. Das Finale lässt der Regisseur auf einem Bahnhof von Wells Fargo spielen. Die Regie ist ohne innovative Interpretationsversuche absolut solide, repertoiretauglich, vermeidet Lächerlichkeiten des Librettos, macht die Geschichte der Minnie absolut klar nachvollziehbar und schafft dank der Protagonisten packende und spannende Momente.

Diese sind Luxus pur: Nina Stemme, bei deren Kostümierung Dagmar Niefind mit der grauenvollen Latzhose und den knallroten Haaren, die sie wie einen Verschnitt aus Pumuckl und Pippi Langstrumpf aussehen lässt, ordentlich daneben gegriffen hat – im Gegensatz zu den anderen passenden Western-Gewändern – singt die Minnie mit makellosem Legato, wunderbaren Lyrismen, aber auch kraftvollen Attacken bis in die höchsten mühelosen Höhen ihres Wagner-Soprans. Vielleicht könnte man, aber schon sehr beckmesserisch, eine manchmal etwas fehlende Italianitá bemäkeln. Jonas Kaufmann ist der „gute“ Bandit Dick Johnson. Er singt ihn überhaupt erstmalig bei seiner ersten Staatsopernpremiere mit herrlicher Pianokultur, aber auch glutvollen Macho-Tönen seines bronzenen, baritonalgefärbten Samttenors und spielt ihn auch mit höchster Intensität. Tomasz Konieczny ist der „böse“ Sheriff Jack Rance. Er beginnt ihn, nicht ganz ideal besetzt, mit etwas kehligem Bariton und kann nicht ganz an seine Erfolge im deutschen Fach anschließen. Dann aber wird er doch aufwühlend und intensiv ein zum Fürchten geeigneter Bösewicht. Auch die vielen kleineren Partien sind aus dem reichen Fundus der vielen exzellenten Ensemblemitglieder der Wiener Staatsoper großartig und ideal besetzt. Besonders Norbert Ernst als Minnies Kellner und Boaz Daniel als ihr Verehrer Somora ragen als regelrechte Luxusbesetzungen heraus. Makellos und homogen hört man den Chor in der Einstudierung von Thomas Lang.

Franz Welser-Möst, der sich das Werk laut eigener Aussage gewünscht hat, weil es wegen diverser Schwierigkeiten für jeden Dirigenten eine immense Herauforderung darstellt, kann das Riesenensemble mühelos zusammenhalten. Der GMD des Hauses weiß beim Orchester der Wiener Staatsoper, nur fallweise etwas zu laut, einen ungemein differenzierten, weit aufgefächerten, raffinierten Klangteppich mit reichem Kolorit zu erzeugen, der jeder Stimmung gerecht wird.

Grenzenlosen und ungetrübten Jubel erlebt man im Publikum.















 
 
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