der Standard, 7. Oktober 2013
Ljubisa Tosic
 
Puccini, La fanciulla del West, Wiener Staatsoper, 5. Oktober 2013
 
Happy End im Camp des Triebstaus
 
 
Premiere von Puccinis "La fanciulla del West" an der Wiener Staatsoper: Marco Arturo Marelli inszeniert die Liebesgeschichte genau, Dirigent Franz Welser-Möst sorgt für poetischen wie dramatischen Glanz
 
Mit ihrer nüchternen Latzhose mag sich Minnie aus Selbstschutz dem männlichen Triebstaumilieu äußerlich angleichen, das sie in ihrer Saufbude allabendlich mit Whiskey versorgt. Dennoch sind diese Minenarbeiter, die bei Regisseur und Bühnenbildner Marco Arturo Marelli in einem abgelegenen Containercamp schuften und nach getaner Arbeit von Mama, Glück und ferner Heimat träumen, von Minnies Reizen nicht unbesessen.

Sie reichen der resoluten Rothaarigen Blümchen, lauschen ihnen Bibellesungen. In Minnies Händen werden sie kurz zu sanften Plüschtierchen, wiewohl sie in dieser existenziellen und sexuellen Beengungssituation auch ganz anders können: Ein als Falschspieler enttarnter Kumpel wird rüde zugerichtet; nur Sheriff Jack Rance (intensiv: Tomasz Konieczny) vermag die entfesselte Männermasse daran zu hindern, den Kartentrickser schnell ins Jenseits zu befördern.
Wandel gut nachgezeichnet

In seiner Zuneigung zu Minnie kennt gerade dieser Sheriff jedoch kein Pardon. Wie offensichtlich wird, dass mit Bandenvorstand Ramerrez, der seine Identität zunächst mit dem Namen Dick Johnson verhüllt, ein Konkurrent ins Camp hereingeweht wurde, entspinnt sich in La fanciulla del West eine dramatische Dreiecksgeschichte, in der sich die Charaktere zu wandeln beginnen.

Marco Arturo Marelli, der an der Wiener Staatsoper schon manch elegante Inszenierung vorgelegt hat, zeichnet das profund nach: Minnie (tadellos und von hoher Durchschlagskraft besonders im Dramatischen: Nina Stemme) wird von einer sanften Männerbändigerin zur wild entschlossenen Tragödin, die, um ihren Jack vor dem Galgen zu retten, droht, sich und ihm Kugeln zu verpassen. Lieber ein öffentlicher Liebestod, als ohne Jack existieren zu müssen.

Jack wiederum, den ein in jeder Ausdruckslage sicherer und klangprächtiger Jonas Kaufmann als Ganoven zeichnet, dem aus Zuneigung zu Minnie so etwas wie ein Gewissen erwächst, wird vom galant-schlauen Beau zum gejagten, dann verwundeten Hilflosen, den Resignation beschleicht. Bis ihn Minnie rettet.

Sheriff Rance wiederum mutiert vom respektierten Gesetzeshüter zum Rachetypen, der schließlich mit hilflosem Zorn (und suizidal gefährdet) zusehen muss, wie die Minearbeitermasse dem Pärchen ein Happy End gewährt. Hier gönnt sich Marelli eine märchenhafte Schlusspointe: Unter den gütigen Blicken des Kollektivs - aus dem guten Ensemble seien Norbert Ernst (Nick), Paolo Rumetz (Ashby), Boaz Daniel (Sonora), Michael Roider (Trin) und Clemens Unterreiner (Happy) erwähnt - entschwebt das selige Pärchen in einem regenbogenbunten Heißluftballon gen Staatsopernhimmel.

Ein wenig skurril wirkt das im Vergleich zum vorherigen dramatischen Ernst. Da hätte man die finale Utopie von vergebender Humanität wohl ernster nehmen können. In Summe aber eine respektable Inszenierung.
Wo Poesie atmen darf

Dirigent Franz Welser-Möst und dem Wiener Staatsopernorchester gelang hingegen eine Meisterleistung: Wie man im ersten Akt diese lakonische Kammermusik voll harmonischer Impressionismen mit emotionaler Substanz auflud; wie man in den dramatischen Ausbrüchen zumeist hohe Ausgewogenheit bewahrte; wie farbenreich man schließlich auch die poetischen Linien atmen ließ - das ergab eine profunde Umsetzung von Puccinis süffigem und im Melodischen pentatonisch geprägtem Tiefsinn. Applaus für wirklich alle. (Ljubisa Tosic, DER STANDARD, 7.10.2013)

8., 11., 14. und 17. Oktober, 19.00. Da der ORF die Oper übertrug, kann man die Aufführung nun auch in der TVthek begutachten.

















 
 
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