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Opernnetz |
Helmut Christian Mayer |
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Verdi: Don Carlo, Salzburger Festspiele, 25. August 2013 |
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Luxuriöser Musikzauber
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Der Hype ist gewaltig. Die Nachfrage nach Karten unbeschreiblich: Im
Kartenbüro lange Wartelisten, stundenlang vor der Vorstellung, hunderte
Kartensuchende vor dem Großen Festspielhaus. Denn schließlich gilt es doch,
bei Giuseppe Verdis Don Carlo in einer Luxusbesetzung dabei zu sein. Diese
völlig überbuchte Produktion ist bei der Publikumsnachfrage sicherlich „das“
Opernhighlight der diesjährigen Salzburger Festspiele, wenn man von der
konzertanten Aufführung von Verdis Giovanna d’Arco mit Anna Netrebko und
Plácido Domingo absieht.
Wer nun das Glück hatte, Karten zu
ergattern, der kann die vom Regie-Team für Salzburg gewählte, letzte Version
Verdis, die 1886 in Modena in italienischer Sprache herausgebrachte,
fünfaktige Fassung dieses Spätwerks erleben, also mit dem Fontainebleau-Akt,
aber noch um einige Stellen aus dem französischen Original angereichert. Mit
dieser Fassung lässt sich von Beginn an die Logik der politischen und
amourösen Beziehungen offenlegen, was viel zur Verständlichkeit des Dramas
beiträgt.
Optisch ist absolute Reduktion angesagt. Reduziert ist das
Bühnenbild von Ferdinand Wögerbauer: Eine riesige, weiße und öde
Schneefläche für den Garten von Fontainebleau, ein Swimmingpool für die
Hofdamen, eine Tribüne für das Autodafé, wo die Ketzer im Videofeuer und
Trockeneisnebel verbrennen. Man schafft aber auch Intimität für die
notwendigen Szenen. Da werden jeweils nur kleinere, seitlich durch Vorhänge
begrenzte Ausschnitte der riesigen Cinema-Scope-Bühne gezeigt, was aber
teilweise für die vorderen, seitlichen Plätze nicht zum optischen Vorteil
gereicht. Die prächtigen, von Annamaria Heinreich ersonnenen, historisch
stilisierten Kostüme wirken jedoch teilweise wie aus einem uralten
Theaterfundus.
Reduziert ist auch Inszenierung von Peter Stein. Der
Altmeister, ein Bekenner der Werktreue, einer der darauf besteht, streng
nach dem Textbuch zu inszenieren und sich Neudeutungen eines Werkes stets
verweigert, führt Regie. Traditionell erzählt er die Geschichte des
unglücklich leidenden Titelhelden mit schnörkelloser Klarheit. In erster
Linie lässt er jedoch meist nur konservatives, museales Rampen-, Auf- und
Abmarschtheater der Chöre und Statisten zu, mit denen er, wie er selbst
zugibt, nie etwas anzufangen weiß. Und so stehen diese meist in hübschen
Arrangements herum, die wie Bilder alter Meister wirken. Seine Konzentration
gilt den Protagonisten, die oft nur mit minimalistischen, kaum
auszunehmenden Aktionen und Gesten agieren. Hier kommt zwar die
Meisterschaft des Regisseurs zum Vorschein. Das widerspricht jedoch den
riesigen Dimensionen der Bühne und der Entfernung zu den Zuschauern. Diese
emotionale Zwischenmenschlichkeit kann man fast nur in den Großaufnahmen bei
der gesendeten TV-Übertragung erkennen.
Aber eigentlich ist für die
meisten Opernliebhaber die Inszenierung in diesem Fall ohnedies sekundär.
Deshalb ist man nicht nach Salzburg gepilgert, sondern wegen der klingenden
Namen der aufgebotenen Sänger. Da gibt es zunächst gleich einmal das neue
„Traumpaar der Oper“, das auch schon in München und in London den spanischen
Infanten und dessen Braut, die aus Staatsraison plötzlich zu seiner
Stiefmutter mutiert und so das ganze Unglück begründet, gesungen hat: Jonas
Kaufmann fasziniert mit seinem dunklen, baritonal grundierten, samtig
tönenden, klangschönen Tenor mit strahlender, ungefährdeter Höhe und seiner
unvergleichlichen Pianokultur. Mit geballter Ausdruckskraft kann er die
stürmische Leidenschaft, aber auch Labilität des Charakters des Titelhelden
verkörpern. Ein Genuss! Mit bewegenden Färbungen und expressiver
Schattierung erlebt man Anja Harteros als Elisabetta. Auch darstellerisch
spielt sie die Figur sehr beseelt, hin- und hergerissen zwischen Vernunft
und Liebe. Thomas Hampson ist ein phänomenal präsenter Posa, der die Figur
des Freigeistes und Neuerers optimal ausfüllt. Sein Bariton wird jedoch
immer wieder von expressiver Herbheit gebrochen. Er phrasiert wunderbar und
berührt zutiefst, besonders im Freundschaftsduett mit Jonas Kaufmann und in
der Sterbeszene. Da erlebt man ganz große Oper. Gerade hier erkennt man auch
bei der emotional ergreifenden Personenführung die Virtuosität des
Regisseurs. Große Sinnlichkeit als auch viel Dramatik bringt Ekaterina
Semenchuk als Eboli in ihrem Mezzo-Timbre mit. Während Robert Lloyd dem
Mönch wegen seines reifen, tremoloreichen Basses nicht mehr gewachsen ist,
kann Matti Salminen trotz seines ebenfalls schon fortgeschrittenen Alters
dem Philipp II noch die notwendige Autorität verleihen. Er ist ein
imposanter, aber zutiefst menschlicher König. Eric Halvarson ist auch heute
immer noch ein furchterregender Großinquisitor. Erstklassig besetzt sind
auch die kleineren Rollen mit Maria Celeng als Tebaldo, Benjamin Bernheim
als Lerma und Sen Guo als Stimme vom Himmel. Prächtig stimmgewaltig und
homogen klingt der Wiener Staatsopernchor in der Einstudierung von Jörn
Hinnerk Andresen.
Antonio Pappano dirigiert bei den Salzburger
Festspielen erstmalig Oper: Unter seiner temperamentvollen und
sängerfreundlichen Leitung lassen die Wiener Philharmoniker, die sich in
Spitzenform befinden, aus dem Graben reiche, schillernde Klangpracht und
viel dramatische Wucht erklingen.
Uneingeschränkter,
unbeschreiblicher Jubel eines völlig enthusiasmierten Publikums.
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