Der Neue Merker, 1. Oktober 2012
Ursula Wiegand
 
Schubert: Die schöne Müllerin, Berlin, Philharmonie, 30.9.2012
 
Berlin, Philharmonie: „DIE SCHÖNE MÜLLERIN“ mit Jonas Kaufmann und Daniel Barenboim, 30.9.12
 
 
Erster Gast der diesjährigen Konzertreihe BARENBOIM-ZYKLUS ist der Tenor Jonas Kaufmann. Ja, er ist wirklich da und auch bestens bei Stimme.

Das erste Lied aus dem Zyklus „Die schöne Müllerin“ von Franz Schubert bringt er fast verhalten und schmettert „Das Wandern ist des Müllers Lust“ keineswegs – wie es öfter zu hören ist – in die ausverkaufte Philharmonie.

Ähnlich wie die 41.000 Läufer und Läuferin beim gleichzeitigen Berlin-Marathon – beginnt er, mit Daniel Barenboim am Flügel, leicht und federnd, läuft bzw. singt sich erstmal warm. Diese Zartheit – mit den vorsichtig angesetzten hohen Tönen – prägt zunächst seine einfühlsamen Dialoge mit dem rauschenden Bächlein. Dieses Rauschen und Glitzern des Wassers im Lied „Wohin?“ ist fein herausgearbeitet.

Mit dem Plätschern und manchmal einem Beinahe-Sprechgesang ist es jedoch bald vorbei, zeigt sich doch der Opernstar nun als Meister dosierter Steigerungen. So beim 3. und 4. Stück, dem Lied „Halt!“ angesichts der Mühle und der „Danksagung an den Bach.“ Sein komödiantisches Talent und sein Charme blitzen ebenfalls immer wieder auf, so wenn er den Neugierigen stimmlich und mimisch darstellt oder ungeduldig sein muss. Dann stürmt er vorwärts, aber ohne zu forcieren.

Und welche Müllerin konnte oder kann seinen Avancen schon widerstehen? Verführung, Abschied, Tränen – das alles wird fein abschattiert und wohllautend so zusagen in Bild und Ton dargeboten, ebenso aber Enttäuschung und angebliche Sing-Hemmung. „Ich kann nicht mehr singen, mein
Herz ist zu voll…“ (im Lied „Pause“) glaubt ihm hier in der Philharmonie kein Mensch. Er beweist ja genau das Gegenteil.

Doch dann, den Stücken gemäß, wird’s wieder opernhaft, auch was Gesichtsausdruck und Gestik anbelangt. Einen nur dem edlen Ton huldigenden Vortrag muss man bei Jonas Kaufmann nicht befürchten. Der bringt sich ein und gestaltet.

Zu meinem persönlichen Höhepunkt werden die beiden der Farbe Grün gewidmeten Lieder. „Die liebe Farbe“ heißt das erste, doch in Kaufmanns Interpretation wird es ein Stück mit doppeltem Boden.

Mit „Mein Schatz hat’s Grün so gern“ endet die 1. und 3. Strophe. Grün allein schmückt schließlich das Grab des Liebenden. Das Grün und die Jagd scheinen seinem „Schatz“ wichtiger zu sein als sein Leben. Das klingt auch ein wenig sarkastisch, so entnehme ich es Kaufmanns Mimik und Gesang. Dass er danach das böse Grün aggressiv aufs Korn nimmt, verwundert nicht.

Das 20. und letzte Stück, „Des Baches Wiegenlied“, ist nicht als glorreicher Abgang des Sängers gedacht, und danach richtet sich Kaufmann. Leise schwebend, etwas resignierend und sehnsuchtsvoll endet nach Schuberts Willen dieses Konzert. Wer diesen Zyklus nicht kennt, ist sicherlich verblüfft.

Doch umso heftiger prasselt nun der Applaus, übertrifft schließlich bei weitem den Beifall für die Marathonläufer draußen. Kaufmann und Barenboim bedanken sich mit drei Zugaben, darunter dem bekannten Forellenlied (In einem Bächlein helle…“). Die Zuhörer jubeln noch mehr, ein Blitzlichtgewitter entlädt sich. Die beiden haben es verdient und nehmen sichtlich glücklich die „Standing Ovations“ entgegen.












 
 
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