Der Neue Merker, 5/2012
Oswald Panagl
 
Mahler: Das Lied von der Erde, Salzburg, 6. April 2012
 
Das Lied von der Erde
 
Das ORCHESTERKONZERT am Karfreitag, 6.4., bescherte mir schon zu Beginn ein Aha-Erlebnis der besonderen Art. Von den Klavierkonzerten Ludwig van Beethovens hatte ich zum zweiten Werk (op. 19, B-Dur) bislang die oberflächlichste Beziehung und sein Interpret Emanuel Ax war mir wenig mehr als ein bisweilen gehörter oder gelesener Name. Der Auftritt eines netten rundlichen Herren mit der Physiognomie eines freundlichen Pädagogen verhieß allenfalls eine routinierte Leistung. Aber dann - welche Überraschung: ein Amalgam aus sensibler Deutung, glasklarem Ton und Dialogfähigkeit mit dem Orchester ließ mich das seltener gespielte Stück in neuem Licht erscheinen und bewundern. Der überwältigende Beifall (auch der Musiker und des Dirigenten!) bewirkte eine Zugabe: „Abends", die erste Nummer aus Robert Schumanns „Fantasiestücken" (op. 12), ,implodierte' gleichsam in seiner geheimnisvollen Stimmung. Die Faszination dieses grandiosen Musikers ließ mich schon in der Konzertpause eine Solo-CD erwerben und mich in der Folge in seine Biographie vertiefen.

Im 2. Teil interpretierte SIR SIMON RATTLE ein Werk, das ihm sicht- und hörbar ans Herz gewachsen ist - Gustav Mahlers „Das Lied von der Erde". Ich kenne und liebe diesen Verschnitt aus Symphonie, Oratorium und Orchesterliederzyklus seit nunmehr über 50 Jahren, habe zahlreiche (oder eher zahllose) Aufführungen und Aufnahmen gehört. Was ich an diesem Abend erleben durfte, zählt sicher zum Inventar meiner subjektiven Top Ten', wie das im Neusprech so schön zeitgeistig heißt. Ich könnte über jedes einzelne Lied seitenlang schwärmen, aber...! So sei nur darauf verwiesen, dass JONAS KAUFMANN mit stimmlichem Glanz, Höhensicherheit, Wortdeutlichkeit und Empathie die Tenorpartie ideal interpretiert hat. ANNE SOFIE VON OTTER bildete zu dieser expansiv-extravertierten Gestaltung den idealtypischen Kontrast: Mit verinnerlichtem, subtilem Tonfall lotete sie die Amplitude der Stimmungen zwischen Depression, Betrachtung, Melancholie und zärtlicher Freundschaft liebevoll aus. „Der Abschied', von Mahler aus zwei Nachdichtungen von Hans Bethges „Die chinesische Flöte" montiert, ist schier ein Kosmos für sich, in dem sich die Gefühlswelt des Komponisten in seinen späten Jahren spiegelt. Besucher des 1. Konzerts klagten darüber, dass der Dirigent mit dem entfesselten Orchester in den Tenorliedern selbst die kraftvolle Stimme Kaufmanns zugedeckt habe. Rattle scheint von solchen Rückmeldungen profitiert zu haben, denn im 2. Konzert nahm er das Orchester spontan zurück, sobald sich der Sänger in das klangliche Geschehen einfügte.

 






 
 
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