Drehpunktkultur, 12. Dezember 2012
Von Oliver Schneider
Wagner: Lohengrin, Teatro alla Scala, 7. Dezember 2012
 
Brautgemach im Schilf 
 
Daniel Barenboim, als Musikdirektor der Scala auch in der lombardischen Kapitale vielbeschäftigt, ließ die italienische Nationalhymne vom Chor erst nach der Aufführung anstimmen. Zu sehr hätte sie die Wirkung des zauberhaften A-Durs im Vorspiel konterkariert und den Abend um einen stimmigen Einstieg beraubt.

Und man darf es ohne Umschweife sagen: Es war ein Abend, an dem alles aufeinander harmonisch abgestimmt war, szenisch und musikalisch. Barenboim hatte das Scala-Orchester bestens vorbereitet. Die Gegensätze zwischen der geheimnisvollen Gralswelt und den profanen Aufmärschen in Brabant könnten nicht besser ausmusiziert werden. Trotz flüssiger Tempi – für Barenboim erstaunlich – durchmessen der gerade 70 gewordene Maestro und die Musiker die Partitur mit großer Sorgfalt und auf Details bedacht. Die Holz- und Blechbläser punkten durch ihre Präzision. Eine schöne Wirkung erzielt Barenboim im zweiten Bild des dritten Akts, indem er die Ferntrompeten im Loggione postiert. Insgesamt ist unüberhörbar, dass sich das Scala-Orchester bei der Musik des Jahresregenten 2013 wohlfühlt. Das war nicht immer so. Auch der von Bruno Casoni einstudierte Chor als zentraler Protagonist präsentiert sich vor allem bei den Herren als stimmgewaltiger, homogener und textverständlicher Gesamtklangkörper.

Für die Inszenierung hat Intendant Stéphane Lissner Claus Guth und seinen Ausstatter Christian Schmidt verpflichtet, was im deutschsprachigen Raum eine sichere Wahl wäre. Nicht so in Mailand, wo man – wie überall in Italien – Rampensingen und prachtvolle Kostümschinken einer Interpretation vorzieht. Das Regieteam verortet die Handlung in einem von zwei übereinander liegenden Galerien umgebenen Innenhof – vielleicht eine Kaserne – zur Entstehungszeit. So wie Richard Wagner musikalisch und politisch Mitte der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts seinen Weg noch nicht gefunden hatte, so sieht Guth Lohengrin auch als einen Suchenden. Als einen, der seinen Platz in der Gesellschaft noch finden muss und die Erwartungen an ihn zu Beginn noch nicht abschätzen kann. Vom Bild des überirdischen Befreiers bleibt dieser Lohengrin aber bis zum Schluss weit entfernt. Das spiegelt sich zuletzt darin, dass er wie die ganz traditionell schwache Elsa und das Gegenspielerpaar sein Leben lassen muss. Auf den Schwan verzichten Guth und Schmidt, dafür ist Gottfried von vornherein präsent; und das Regieteam hat ihm bis zu seiner Rückkehr nach Brabant einen Schwanenflügel verpasst.

Im letzten Akt spielen sich die Geschehnisse an den Gestaden eines von Schilf umgebenen Sees im Innenhof ab, was es Guth erlaubt, dank der symbolischen Bedeutung von Wasser und Schilf stärker in die psychologische Ebene einzutauchen. In den See ragt ein Steg, über den Gottfried zum musikalisch triumphalen Schluss zurückkehrt. Elsa hingegen kann vom Ufer nicht zu ihm hinübergelangen, sondern ertrinkt. Nun ist mit Gottfried der Weg für einen Neuanfang möglich.

Durch Jonas Kaufmann in der Titelpartie war der Erfolg des Abends eigentlich vorprogrammiert. Ganz im Sinne von Guths Deutung gibt er den Schwanenritter als einen Menschen aus Fleisch und Blut. Mit seiner in der Mittellage breit und cremig geführten Stimme und dramatischem Glanz in den Forte-Höhen nahm er das Premierenpublikum für sich ein, das sich ansonsten leider häufig unaufmerksam zeigte. So feinsinnig leuchtet er die Gralserzählung aus, dass seine weichen und zarten Piani in der Höhe dem Zuschauer den Atem stocken lassen.

Anja Harteros hätte die Elsa singen sollen, sie und auch die Zweitbesetzung der Rolle erkrankten. Zum Glück stand Annette Dasch kurzfristig bereit. Dasch debütierte in der Partie in der Bayreuther Neuenfels-Inszenierung 2010 an der Seite von Jonas Kaufmann und überzeugt in Mailand mit ihrem glockig geführten Sopran und der tragfähigen Mittellage. Die dramatischen Attacken im dritten Akt zeigen hingegen weiterhin ihre Grenzen auf, ebenso die Größe der Scala aufgrund Daschs begrenzten Volumens. Alles in allem überzeugte aber auch sie am Freitagend (7.12.) und ließ die Entwicklung seit ihrem Rollendebüt erkennen.

Ihre teuflische Gegenspielerin Ortrud wird von Evelyn Herlitzius mit gut fokussiertem hochdramatischem Sopran bravourös verkörpert. Sie erhielt zu Recht neben Kaufmann den meisten Applaus. Nicht ganz so sicher und heldisch, wie es sein sollte, ist Tómas Tómasson als ihr Gatte Telramund, dafür umso edler René Pape als König Heinrich, der aber von der Regie etwas stiefmütterlich behandelt wird. Zeljko Lucic komplettiert das Solistensextett als bestimmt auftretender Heerrufer.



 






 
 
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