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Die Welt, 9.12.2012 |
Manuel Brug |
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Wagner: Lohengrin, Teatro alla Scala, 7. Dezember 2012 |
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Hochzeitsnacht im Schilf |
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Lohengrin als barfüßiger Bub: In Mailand starten Daniel Barenboim und Klaus Guth routiniert ins Wagner-Jahr |
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Murmel murmel. Es ist erstaunlich, wie viele Möglichkeiten die modernen, an
Musiktheater meistenteils desinteressierten Italiener beherrschen, eine
Opernaufführung zu stören. Sie schwatzen und schnauben, röcheln, rascheln
und rattern, knistern und kramen. Sie checken E-Mails und knallen
Logentüren. Zwischendurch gehen sie einfach raus und wieder rein. Sie
schnarchen und fragen, was sie verpasst haben, wenn sie wieder wach werden.
Einst haben sie die Oper erfunden, heute sind sie nur noch kreativ, diese zu
stören.
Richard Wagners Schwanenmärchen "Lohengrin" ist nun nicht
unbedingt ein leises Stück. Aber sein lichtblaues A-Dur-Geigenvorspiel oder
die Einleitung zum zweiten Akt, wo die böse Ortrud bereits als Fagott
trötend Niedertracht ausbrütet, das erfordert Konzentration und genaues
Hinhören. Und da steht Daniel Barenboim in der Mailänder Scala bei der
feierlichen Saisoneröffnung am St.-Ambrosius-Tag diesmal auf verlorenem
Posten. Auch das sonst so rühmliche Orchester kommt aus der Spur. Anfangs
des dritten Aktes aber, als das Blech seinen herrlich schmetternden Auftritt
hat, da sind die vornehmlich mit sich selbst und ihrem gesellschaftlichen
Auftritt beschäftigten Zuschauer endlich dabei. Wie auch am Schluss, als
Barenboim – Staatspräsident Napolitano ist nicht anwesend, nur der
rücktrittsbereite Ministerpräsident Monti – noch die Hymne "Fratelli
d’Italia" folgen lässt: Da singen alle laut und begeistert mit.
Wagner gegen Verdi
Vielleicht ist dieser gar nicht stille Boykott
auch nur die Reaktion auf die große, von schwitzigem Nationalstolz erfüllte
und in den Medien heftig diskutierte Frage, wie es denn sein könne, dass die
Scala, nach wie vor für den musikalischen Altar des Vaterlands gehalten,
ihre glamouröse Eröffnung mit einem Werk des im kommenden Jahr 200-jährigen
Teutonen Wagner feiert statt mit einem Opus des dann ebenfalls 200-jährigen
Giuseppe Verdi. Die gerade dem Mailänder vorausgegangenen Opernhäuser in
Neapel und Rom (wo inzwischen Riccardo Muti herrscht) sind konsensgetreu mit
"La Traviata" und "Simon Boccanegra" in die Spielzeit gestartet, das La
Fenice in Venedig, dem Sterbeort Wagners, paritätisch mit einer von Myun
wun-Chung dirigierten Doppelpremiere von "Tristan" und "Otello". Und
natürlich wird auch die sonst mit Verdi-Werken gut ausgestattete Scala (die
zudem erstmals seit 75 Jahren einen kompletten "Ring"-Zyklus anbietet) am 7.
Dezember 2013, kurz nach Verdis Geburtstag, mit erstmalig Diana Damrau als
Traviata in die Saison starten.
Jetzt also, zum dritten Mal seit
2007, eine vom Musikchef dirigierte Wagner-Inaugurazione, schließlich ist
das Barenboimsche Kernkompetenz. Doch anders als der wunderzart
traumverlorene "Tristan" und 2010 die dramatisch wuchtig auserzählte
"Walküre", wirkt dieser "Lohengrin" jetzt über weite Strecken nur
routiniert, abgewickelt, nicht erfühlt und erfüllt. Was Meckern auf hohem
Niveau ist, denn Barenboim hat selbst das Deutungsniveau hochgelegt, an das
er diesmal nicht heranreicht. Auch das riesige, nach oben offene
Einheitsbühnenbild von Christian Schmidt, ein bisweilen blau leuchtender,
dreistöckig wilhelminischer Kasernen- oder Gefängnisinnenhof, ist da keine
Hilfe. Es klingt akustisch oft mümmelig mau, die Chöre scheinen zu
zerstäuben, die Stimmen kommen nur dünn durch.
Jonas Kaufmann
und andere Spitzensänger
Natürlich bis auf die von Evelyn
Herlitzius’ schwarzmadamig gekleidete Ortrud, die schneidet durch den
schluckendsten Plüsch und trägt durch den weitesten Raum. Wie überhaupt
viele Wagner-bewährte Spitzensänger aufgeboten sind, kein Experiment gewagt
wurde. René Papes König Heinrich tönt ungewohnt hohl, Zeljko Lucic gibt sich
mit der kleinen Rolle als Heerrufer zufrieden. Tómas Tómassons Telramund hat
gegen seine schrille Gattin kaum eine Chance und lässt gaumig hören, wie
schwer und undankbar diese Partie ist.
Schön zu erleben, wie
Jonas Kaufmann seinen ganz rollenuntypisch dunkel-melancholischen, nur
verhalten strahlenden Lohengrin weiter entwickelt und perfektioniert. Kein
Manierismus an diesem Abend, ein intelligenter, in jedem Moment vollendet
über seine Stimme gebietender Sänger ist da zu verfolgen, auch wenn man
seinen Tenor eine Spur zu klein finden mag. Das aber eben zwingt
zur Fokussierung, was das Auditorium nur widerwillig tut. Er und seine so
ideal in Gestaltung und Anmutung zu ihm passende, erst am Morgen für die
kranke Anja Harteros in die Produktion eingestiegene Partnerin Annette Dasch
im weißen Mädchenkleid sind die heute angesagten Antiheroen, erfüllen wie
Kinder die Deutung Claus Guths. Die nicht wirklich aufgehen mag, obwohl die
Dasch trotz ihrer kurzen Höhe und oft flachen Singweise höchst anrührende
Momente hat, man ihr jede Sekunde diese naive, verwirrte, am Ende auch
mutwillige Elsa glaubt, so wie Kaufmann den Ritter, der gar keiner ist und
sein will.
Elsa im Schilfdickicht
Guth, der mit dem
"Lohengrin" seinen Zyklus der Bayreuth-kanonisierten Wagner-Opern vollendet,
bleibt sich treu und spult Versatzstücke ab. Das sich wandelnde Zimmer als
geschlossener Weltenraum. Ein am Ende umgestoßenes Klavier als bürgerliches
Folterinstrument, an dem Ortrud Elsa drillt. Lohengrin, barfuß, mit offener
Weste als Doppelgänger des verschwundenen Brabanter Thronerben Gottfried,
der gleichwohl als beflügelter Schwanersatz herumgeistert; zusätzlich, wie
Elsa, noch in einer Kindervariation. Es gibt leise Militarismuskritik, beide
Protagonisten haben die Fallsucht und kratzen sich gern, so unwohl fühlen
sie sich in ihren öffentlichen Rollen. Das Brautgemach ist ein sehr
stimmungsvoll ausgeleuchtetes, verwunschenes Schilfdickicht, wo man sich wie
ein Tschechowsches Landgut-Paar herzt und auf dem Bootssteg mit Wasser
netzt. Zwei Gören auf der Flucht, verliebt, seinsvergessend. Genau das sind
eben Wagners Elsa und Lohengrin nicht, die immer auch eine staatstragenden
Part spielen müssen, selbst wenn sie "zum ersten Mal allein" sind.
Guth hat deshalb auch keine wirklich zündende Idee für den Schluss.
Lohengrin liegt todeszuckend am Boden, Ortrud schneidet sich die Pulsader
auf, Elsa geht ins Wasser, nicht ohne dem blassen Gottfried noch Lohengrins
Jacke als Faustpfand zu geben. Dem Scala-Publikum gefiel es. Es war schön,
man musste nicht denken, wurde wenig gestört. Oper auf Italienisch eben. |
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