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Klassik.com, 17.1.2012 |
Alexander Meissner |
Verdi: Don Carlo, Bayerische Staatsoper, 15. Januar 2012
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Zum Einrahmen
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Kritik zu Verdi, Don Carlo, Bayerische Staatsoper (Bayerische
Staatsoper München) |
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"Nein… ja, komplett, leider." Im Minutentakt waren Gesprächsfetzen dieser
Art vergangenen Sonntag an der Abendkasse der Bayerischen Staatsoper zu
hören, quittiert von verblüfften Gesichtern – aufgesetzten, versteht sich.
Denn mal ehrlich: Wer ist naiv genug, um zu glauben, kurz vor
Vorstellungsbeginn noch eine "offizielle" Karte ergattern zu können, wenn
Jonas Kaufmann, Anja Harteros und René Pape gemeinsam in Verdis 'Don Carlo'
auf der Bühne stehen? Während ein solches Staraufgebot an der New Yorker Met
sicherlich eine HD-Kinoübertragung mit DVD-Produktion zur Folge gehabt
hätte, schien sich in Deutschland nicht einmal 3sat oder arte zu einer
TV-Übertragung verführen zu lassen. Umso dankbarer darf man der Staatsoper
sein, dass die dritte Aufführung via Live-Stream im Internet angesehen
werden kann – ein Pflichttermin, nicht allein des Hörens wegen, sondern auch
um mitzuerleben, wie große Sänger eine Bühne in Besitz nehmen, jede
Inszenierung vergessen machen können.
Womit nicht angedeutet werden
soll, Jürgen Roses Arbeit aus dem Jahr 2000 sei überflüssig, ganz im
Gegenteil. Konventionell angelegt und historisch gewandet, fordert sie das
Stück zwar nicht heraus, bebildert es aber ästhetisch konsequent mit
düster-klaustrophobischen, manchmal geradezu beklemmenden Stimmungen. Einzig
im Autodafé wird die Grenze zur Wertung überschritten, wenn eine groteske
Prozession Herbert Rosendorfers im Programmheft formulierte Warnung vor
einem "zum Aberglauben pervertierten Christentum" wortwörtlich (und
angesichts der sonst alles Grelle meidenden Optik sehr effektvoll)
aufgreift.
Es blieb also viel Freiraum für die Figurenzeichnung,
welcher besonders von Jonas Kaufmann genutzt wurde. Er sang die Titelrolle
nicht als Tenor in Opernpose, sondern war bemüht, die charakterliche
Labilität des Infanten aufzuzeigen, der mal bebend vor Angst zu Ebolis Füßen
kauert, mal heldenmutig aufbegehrt und dabei immer kopflos, ganz aus dem
Affekt heraus zu handeln scheint. Gepaart war diese überzeugende Darstellung
mit einer Gesangsleistung, die jenseits aller Geschmacksfragen als grandios
bezeichnet werden muss. Kaufmanns gaumiges, technisch fragwürdiges
(Nicht-)Piano mag einen Störfaktor darstellen. Tatsache ist jedoch, dass es
klug eingesetzt wird und sich nicht negativ auf das restliche vokale
Spektrum auswirkt: Ab dem Mezzoforte strahlte die Stimme dunkel-metallisch,
zeigte tenoralere Farben und vor allem eine ekstatisch-virile, bombensichere
Höhe.
Die von Kaufmann im Lauten erzeugte Gänsehaut stellte sich bei
Anja Harteros im Leisen ein. Es ist schier unglaublich, zu welch
obertonreichen Flageolett-Tönen die deutsch-griechische Sopranistin fähig
ist, wie bruchlos jede Phrase geformt und wie punktgenau jeder Spitzenton
angesetzt wird. Zudem gelang ihr ein berührendes Rollenportrait, das sich in
'Tu, che la vanità' erwartungsgemäß am stärksten verdichtete, seinen
Höhepunkt aber schon zuvor in jenen (in tiefer Lage schlicht rezitierten)
Worten gefunden hatte, mit denen Elisabetta Eboli zur Rückgabe ihres Kreuzes
auffordert. Obwohl sie im anschließenden 'O don fatale' alle Reserven
mobilisierte, konnte Anna Smirnova diese Szene nicht mehr überbieten – dazu
müsste ihr urgewaltiger Mezzosopran besser kontrolliert, sollten die
vorgeschriebenen Tonhöhen präziser erreicht werden.
In Relation zum
gesanglichen Gesamtniveau fiel auch Boaz Daniel, der als Posa für den
momentan vom Absagepech verfolgten Mariusz Kwiecien eingesprungen war,
geringfügig ab. Die fraglos voluminöse und zudem schön timbrierte Stimme
entfaltete sich in der Höhe gut, aber nicht ohne Druck, was zu einem
baldigen Nachlassen von Klangqualität und -konsistenz, vor allem in der
Tiefe, führte. Als eigentlicher Primo Uomo erwies sich am Ende René Pape,
dessen Filippo als Musterbeispiel an interpretatorischer Tiefe und vokaler
Perfektion den Vergleich mit großen historischen Vorbildern geradezu
erzwingt. Den Reigen exquisiter tiefer Männerstimmen vervollständigten Eric
Halfvarson als fulminanter Grande Inquisitore und Steven Humes als dringend
Filippo-verdächtiger Mönch.
Für Asher Fisch am Pult des glänzend
spielenden Bayerischen Staatsorchesters bedeutete so viel Stimmkraft in
einem so sängerfreundlichen Haus praktisch eine Carte Blanche, die der
israelische Dirigent dann auch wirkungsvoll zu nutzen wusste. Die leisen
Passagen zart, aber nicht gefühlsduselig auskostend, setzte er folgerichtig
und höchst erfolgreich auf maximale orchestrale Entfaltung, ohne den
akustischen Rahmen zu sprengen; auch sein Forte-Fortissimo blieb durchlässig
und wahrte die Relation zu Solisten und Chor. Rückblickend ist man versucht,
den altmodischen Begriff "denkwürdig" im Zusammenhang mit dieser Aufführung
zu bemühen. Oder wie eine ältere Dame, noch etwas benommen vom 20minütigen
Applaus, mit Blick auf ihren Besetzungszettel meinte: "Den werd’ ich mir
einrahmen!"
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