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Der Neue Merker, 5/2012 |
Oswald Panagl |
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Bizét: Carmen, Salzburger Osterfestspiele |
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Carmen, 9.4.2012
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Über- die Produktion von Georges Bizets „CARMEN" (Ostermontag, 9.4.) wurde
schon im Vorfeld viel vermutet, gerätselt und prophezeit: Triumph oder Flop,
entfesseltes Regietheater oder Opernkonzert' - das war hier die Frage!
Immerhin teilt das Werk mit „Don Giovanni" das Etikett der Oper aller Opern
und über die Vertreterin der Titelrolle wird im unverbindlichen Smalltalk
ebenso wie in Fachgesprächen mindestens so viel und kontrovers gesprochen
wie über den Ausgang der nächsten Nationalratswahl oder die Qualifikation
österreichischer Spitzenvereine im Fußball.
Der große österreichische
Regisseur und Theaterleiter Walter Felsenstein, an dessen berühmtem Wiener
Opernseminar ich 1963 teilnehmen durfte, hat einmal eine knappe
Inhaltsangabe dieses Stücks geliefert: „Micaela liebt jose, Josef liebt
Carmen, Carmen liebt Escamillo und Escamillo nur sich selbst. "Kurz, aber
bündig formuliert hält diese Charakteristik wesentliche Merkmale des
Geschehens fest und lässt dennoch Spielraum für die Gestaltung der
Hauptrolle: Femme fatale oder Kokotte, berechnende Außenseiterin oder am
Ende aufrichtig Liebende? Über eines scheint unter den Experten wie den
Interpretinnen Einigkeit zu herrschen: Carmen will und braucht vor allem
ihre persönliche Freiheit! Was sie einengt, wie der klammernde,
besitzergreifende Anspruch Don Joses, erträgt sie nicht! Ob sie in Escamillo
ihren Traumpartner gefunden hätte, zählt zu den so reizvollen wie unlösbaren
Fragen.
Doch nun endlich zur Aufführung! Dass die Regisseuse ALETTA
COLLINS vom Tanztheater kommt und selbst Stücke geschrieben hat, erkennt man
auf Schritt und Tritt: Sie kann mit Massenszenen gut umgehen, hält die
Protagonisten wie die Nebenfiguren in Bewegung und sorgt für choreographisch
stimmige Abläufe. Dass Teile der Bühne in den Zuschauerraum übergreifen,
erlaubt vor allem der Hauptdarstellerin tänzerische Entfaltung. Die Kritik
an Bühnenbild (MIRIAM BUETHER) und Kostümen (GABRIELLE DALTON) vermag ich
nicht zu teilen: Die Gestaltung des 3. Aktes mit Röhren, Leitern und
unwegsamem Ambiente an Stelle der gewohnten Berglandschaft spiegelt moderne
Unwirtlichkeit und erinnert ein wenig an das Milieu heutiger Kriminalfilme.
Loblieder auf JONAS KAUFMANN als Don José zu singen, fällt
allmählich deshalb schwer, weil man die Würdigung einer vollen
Identifikation mit der Rolle höchstens noch im Vokabular variieren kann. Es
gibt Leute, die sein Timbre oder seine Art zu singen weniger schätzen: Ich
zähle nicht dazu! Seinerzeit haben bestimmte Tenöre den 1. und 2.Akt (bis
zur Blumenarie) betörend gesungen, um sich danach sehr anstrengen zu müssen
(Giuseppe di Stefano, José Carreras als junge Sänger), bei anderen wie Mario
del Monaco war es dagegen umgekehrt. Jonas Kaufmann (wie auch Roberto
Alagna) zählt zu den Künstlern, die diese attraktive Partie wie aus einem
Guss bruchlos meistern. Gleich danach ist GENIA KÜHMEIER als
Micaela (im Kranken- oder Kinderschwesternkostüm) zu rühmen. Schon im Duett
des 1. Aktes überzeugend, gelang ihr eine mit Recht bejubelte Arie im 3.
Akt. KOSTAS SMORIGINAS, ein junger Litauer mit bereits internationaler
Karriere, ist nicht wirklich herausragend, aber auch nicht so schwach, wie
in manchen Rezensionen zu lesen war. Die Rolle des Stierkämpfers ist zwar
kurz, aber in der Vielfalt der Anforderungen durchaus anspruchsvoll - man
denke nur an das Torerolied als Auftrittsnummer. Ich erinnere mich bloß an
wenige Rollenvertreter, die mich wirklich überzeugt haben: neben dem
unvergleichlichen George London waren das z. B. Ettore Bastianini und Walter
Berry! Vielleicht könnte ANDRÉ SCHUEN einmal die Partie exzellent singen,
der als Moralès erneut eine Probe seiner enormen Begabung ablegte. Der
Absolvent des Salzburger Mozarteums ist mittlerweile bereits in Hauptrollen
an der Grazer Oper besetzt.
Die Vertreter der kleinen Partien -
CHRISTIAN VAN HORN (Zuniga), CHRISTINA LANDSHAMER (Frasquita), RACHEL
FRENKEL (Mercedes), SIMONE DEL SAVIO (Dancairo), JEAN-PAUL FOUCHÉCOURT
(Remendado) - seien mit einem Pauschallob bedacht. Dass der Schenkenwirt
diesmal eine Frau, also quasi eine Lilla Pastia ist und noch dazu von der
Allroundkünstlerin BARBARA SPITZ köstlich verkörpert wird, verdient
zumindest ein Wort der Erwähnung.
Nun aber zur Titelrolle: MAGDALENA
KOZENA ist ein exzellenter Idamante, eine sehr gute Charlotte, eine hoch
musikalische Liedinterpretin und Barockspezialistin - aber von Kopf bis Fuß
keine Carmen! Dabei gibt sie sich alle Mühe, hat eigens für diese Produktion
spezielle Tanzschritte professionell erlernt. Ihre Stimme wird
hochmusikalisch geführt, sie ,hat' alle Töne, ist (vielleicht zu)
intelligent als Darstellerin, wird dank der behutsamen Orchesterführung
ihres Mannes auch niemals klanglich zugedeckt. Und dennoch, es bleibt ein
unerfüllter, wohl auch unerfüllbarer Rest! Soll man von einem Scheitern auf
beachtlichem Niveau sprechen? Es muss jedenfalls für eine Künstlerin ihres
Ranges demütigend sein, wenn beim Schlussapplaus die Sängerin der Micaela
Beifallsstürme erntet, während sich in ihren Anstandsapplaus sogar einige
(unverdiente!) Buhrufe mischen.
SIR SIMON RATTLE, der einen
lesenswerten Text zum Almanach beisteuert, hat nach eigenen Angaben die
Partitur des ihm längst vom Hören vertrauten Werks erst wenige Jahre vor der
Produktion studiert. Man glaubt dieses Faktum an unroutinierten
Klangmustern, teils veränderten Proportionen, auch ungewöhnlichen Tempi zu
merken. Dass er das Orchester an vielen Stellen dämpft, mag auch der
Rücksicht auf die spezifische Stimme seiner Protagonistin zu verdanken sein.
Für die wie immer souveränen BERLINER PHILHARMONIKER war es vorerst der
letzte Abend im besonderen Kontext der Opernwelt. Aber es soll ja in
Baden-Baden weitergehen! Danke für viele Sternstunden!
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