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Der Opernfreund |
Ludwig Steinbach |
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Bizét: Carmen, Salzburger Osterfestspiele, 9. April 2012 |
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Weg von Klischees
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10 Jahre lang hatte er die Geschicke der im Jahre 1967 von Herbert von
Karajan gegründeten Osterfestspiele Salzburg geleitet. Jetzt stand Sir Simon
Rattle am Ostermontag zum letzten Mal am Pult des Großen Festspielhauses und
leitete eine Aufführung von Bizets „Carmen“, deren Neuinszenierung eine
Kooperation der Osterfestspiele Salzburg mit den Salzburger Festspielen und
dem Teatro Real, Madrid darstellt. Trotz des ausgezeichneten Rufes, den
Rattle international genießt, war zu konstatieren, dass ihm Symphonien
besser liegen als Opern. Zusammen mit den Berliner Philharmonikern, für die
nach 45 Jahren in Salzburg ebenfalls eine Ära zu Ende ging - Christian
Thielemann, der das Festival ab nächstem Jahr künstlerisch leiten wird,
bringt seine Sächsische Staatskapelle Dresden mit -, erzeugte er einen etwas
distanziert wirkenden Klangteppich, dem französische Eleganz und
südländisches Flair gänzlich abgingen. Rattles Auffassung von Bizets
großartiger Partitur war insgesamt ziemlich rationaler und analytischer
Natur, was sich in einigen etwas trocken wirkenden Passagen niederschlug.
Das französische Kolorit der Oper blieb er gänzlich schuldig und verfehlte
damit deren musikalischen Kern, was einige Zuschauer mit Buhrufen
quittierten. Er stand schon etwas neben dem Werk, dirigierte indes
ausgesprochen sängerfreundlich.
Gespielt wurde in Salzburg die
Dialogfassung. Im Interesse einer Straffung der dramatischen Handlung und
der Focussierung des Schwerpunkts auf die Musik hat Regisseurin Aletta
Collins die gesprochenen Texte stark eingekürzt und auf ein Minimum
reduziert. Ihre Herangehensweise an das Stück ist konventioneller Natur und
hat nicht viel Neues zu bieten. Sie lässt Oper noch Oper sein, präsentiert
diese insgesamt aber auf solidem Niveau. Geradezu erfrischend war die
Tatsache, dass sie im Gegensatz zu vielen anderen Regisseuren der Oper nicht
Klischees bediente, sondern sehr stark auf die Herausarbeitung der
zwischenmenschlichen Beziehungen setzte und dabei auch einen gehörigen
Schuss Symbolik in ihre Deutung mit einfließen ließ. Den ganzen Abend über,
vom Vorspiel bis zum Schluss, treten immer wieder eine Schar schwarz
gewandeter - die insgesamt nicht sonderlich vorteilhaft ausgefallenen
Kostüme stammen von Gabrielle Dalton - Tänzerinnen auf, die das Geschehen
durch ihre Tanzeinlagen begleiten und stumm kommentieren. Sie sind indes
nicht körperlich, sondern vielmehr allegorisch zu verstehen. Sie stellen
gleichsam das Schicksal in Person dar - diese Lesart war zwar nicht mehr
neu, aber durchaus wirksam. Auch mit Brecht weiß die Regisseurin umzugehen,
wenn sie immer wieder den Zuschauerraum in die Handlung mit einbezieht. Ein
sich zwischen Orchestergraben und erster Parkettreihe erstreckender Laufsteg
war häufiger Aufenthaltsort der Protagonisten und Tänzerinnen. Damit einher
ging die Schaffung einer neuen, äußeren Perspektive auf das Werk, die den
Beteiligten unterschiedliche Blickwinkel auf die jeweils anderen
Handlungsträger gestattete.
Die von Miriam Buether geschaffenen
Bühnenbilder gaben dabei ein adäquates Ambiente ab. Der erste Akt ist in
einer mehrstöckigen Verpackungsstation der Zigarettenfabrik angesiedelt, in
der Carmen arbeitet. Im Erdgeschoß werden die hergestellten Waren
haufenweise in Kisten verpackt und abtransportiert. Hier befindet sich auch
die Kantine, während im oberen Stockwerk die Büroarbeit erledigt wird.
Carmen erreicht mit einem Aufzug die Bühne, in dem sie zuvor mit Zuniga
geflirtet hat. In verrauchtem sündigem Rot - für das Licht zeigte Andreas
Fuchs verantwortlich - erglänzte die Schenke des hier als Frau vorgeführten
- das kann man machen - Lillas Pastia. Rechts erhebt sich eine kleine Bühne,
auf dem sich zuerst Escamillo seinen jubelnden Fans und später Carmen ihrem
Liebhaber José mit künstlerischen Einlagen präsentieren. Ein Theater auf dem
Theater - auch das ist ein alter Hut, wird aber immer wieder gerne bemüht.
Der Schmugglerakt spielt sich in und auf einer halboffenen Tunnelröhre ab.
Der letzte Akt hat schließlich die engen Straßen von Sevilla als
Handlungsort. Hinter den massiven Mauern der Häuser ist die Stierkampfarena
zu erahnen. Mit Blick auf die jüngsten Ereignisse in Spanien, bei denen
Stierkämpfe doch sehr stark in die Kritik geraten und teilweise sogar von
den Behörden verboten worden sind, hat Frau Collins den Aufzug der Toreros
ganz aus ihrer Inszenierung eliminiert. Diese Szene spielt sich gleichsam
nur in den Gehirnen von einigen als Toreros verkleideten überdimensionalen
Wasserköpfen ab, die zusammen mit Escamillo alter Zeiten gedenken. Letzterer
trägt hier zwar das Kostüm eines traditionellen Toreros. Indes ist dieses
Erscheinungsbild lediglich als Maskerade aufzufassen. Seine Hauptfunktion
war den ganzen Abend über eine andere. Die Regisseurin hat sich trefflich
überlegt, was Escamillo wohl in unserer heutigen Gesellschaft darstellen
würde, und ihn zu einem Gittaristen, zu einem modernen Unterhaltungskünstler
gemacht, dessen Bild von Anfang an auf dem Hauptvorhang prangt. Auch ihre
Sicht der Titelfigur ist von herkömmlichen Konventionen weit entfernt. Bei
ihr ist Carmen kein männermordender Vamp, sondern eine zwar schöne, aber
nicht gerade viel Sinnlichkeit versprühende Frau, die versucht, sich als
weiblicher Don Giovanni zu gerieren, im Grunde genommen aber immer eine
Außenseiterin bleiben wird.
Das ist ihre Tragik, die besonders
deutlich wird, wenn sie sich zu ihrer Kartenarie in den Zuschauerraum
zurückzieht und diese von dem bereits erwähnten Laufsteg aus singt. Das war
endlich mal etwas Neues! Im spanischen Bürgerkrieg der 1930er Jahre, in den
Frau Collins das Stück verlegt hat, lebt sie ganz für den Augenblick und
lässt sich dabei gänzlich von ihrem Instinkt leiten. Dabei erscheint sie
jeder Person um sie herum anders. Sie ist strenggenommen nichts weiter als
eine Projektionsfläche für männliche Begierden. Als variabler Spiegel für
die individuellen Obsessionen der Männer wird sie gleichsam zum Mythos, zum
Prinzip erhoben und mit dem Namen Carmen ausgestattet. Auch dieser
Ansatzpunkt kam einem irgendwie bekannt vor. Carmen ist nicht die einzige
Opernheldin, der sich gute Regisseure auf diese Weise nähern. Als weiteres
Beispiel sei in diesem Zusammenhang Bergs Lulu genannt. Sehr eindringlich
gerät das Ende: Don Jose ist zuerst nicht fähig, Carmen das Messer in den
Leib zu stoßen und bricht zusammen. Höhnisch triumphierend schickt Carmen
sich an, die Bühne zu verlassen. Jose, sich der Kläglichkeit seiner Rolle
jäh bewusst werdend, eilt ihr aber unvermittelt nach und erdolcht sie von
hinten. Das war sehr effektvoll. Auch wenn es sich bei dieser Inszenierung
nicht gerade um eine Jahrhundert-Deutung handelte, konnte man mit ihr
zufrieden sein.
Eine „Carmen“ steht und fällt mit der Darstellerin
der Titelfigur. Und diese war mit Magdalena Kozená nicht gerade
festspielwürdig besetzt. Vor allem darstellerisch wurde sie von der
Regisseurin stark im Stich gelassen und nahm ihre Zuflucht zu ziemlich
altbackenen und aufgesetzten Sängergesten. Zudem wirkte ihr Spiel oft
ziemlich linkisch und uninspiriert. Und auch stimmlich blieben Wünsche
offen. Frau Kozena konnte sich glücklich schätzen, in Sir Simon Rattle einen
Dirigenten zu haben, der ihr routiniert über so manche vokale Schwäche
hinweghalf. Zwar verfügt sie über einen solide verankerten, angenehm
klingenden Mezzosopran, der indes nicht über viel Tiefe verfügt und keine
Spur von Eros aufweist. Eine Carmen ist Frau Kozena bestimmt nicht. Nun mag
es durchaus sein, dass sie von Aletta Collins zu dieser Singart, die mit der
Auffassung der Regie Hand in Hand ging, bestimmt wurde. Dennoch blieb der
Eindruck ein zwiespältiger. Es verwundert nicht, dass sie sich beim
Schlussapplaus Buhrufen ausgesetzt sah. Und auch Kostas Smoriginas erwies
sich nicht gerade als idealer Escamillo. Er verfügt über keinerlei Charisma,
das für diese Partie aber dringend erforderlich ist. Sowohl darstellerisch
als auch stimmlich blieb er ausgesprochen blass und eindimensional. Sein
Bariton ist ordentlich gestützt, hat aber in puncto Ausdrucksintensität und
Farben überhaupt nichts zu bieten. Insbesondere das recht eintönig und
belanglos vorgetragene Torerolied, sonst einer der Höhepunkte der Oper,
versiegte in Bedeutungslosigkeit. Zudem hatte der Sänger häufig
Schwierigkeiten, sich gegenüber dem Orchester durchzusetzen, und stand zudem
offensichtlich mit der französischen Diktion ein wenig auf Kriegsfuß.
Die darstellerische Kraft, die Smoriginas gänzlich abging, stand
Jonas Kaufmann, der als Don José an diesem Abend wohl die Vorstellung seines
Lebens sang, im Übermaß zur Verfügung. Er erwies sich in jeder Beziehung als
Luxusbesetzung für die Rolle, der er schon mit seinem blendendem Aussehen
und seinem virilen, impulsiven Spiel hervorragende Konturen abzugewinnen
wusste. Noch besser war er gesanglich. Sein prachtvoller, baritonal
timbrierter, volltönender und sehr kräftiger Tenor ist schon eine Klasse für
sich. Mit derselben hohen technischen Versiertheit und größten Eleganz
bewältigte er sowohl die dramatischen Passagen als auch die zartesten
Lyrismen des José auf höchstem Niveau. Seine Höhenpiani sitzen nun
hervorragend im Körper. Wunderbar, wie er seine Stimme am Ende von „La fleur
que tu m’avais jetée“ im feinsten Pianissimo bis zum hohen ‚b’ heraufführte.
Eine Glanzleistung erbrachte auch Genia Kühmeier als Micaela. Hier
haben wir es mit einem prächtigen, ausgezeichnet focussierten,
substanzreichen, warm und gefühlvoll geführten Sopran italienischer Schulung
zu tun, der das Publikum zurecht zu Begeisterungsstürmen hinriss. Einziger
Wermutstropfen war, dass die Micaela von Frau Collins so überaus hausbacken
und bieder gezeichnet war. Ein Hochgenuss war auch Christian Van Horn, der
mit sonorem, obertonreichem Bass die kleine Rolle des Zuniga erheblich
aufwertete. Gut focussierte Stimmen brachten Christina Landshamer und Rachel
Frenkel für die Frasquita und die Mercedes mit. Und auch André Schuen holte
mit seinem bestens sitzenden, mit großer Klangfülle gesegneten Bariton alles
aus dem Morales heraus. Vielmehr tadelloses Bassmaterial, als man es bei
dieser Rolle sonst gewohnt ist, brachte Simone Del Savio für den Dancaira
mit, während der Remendado des sehr dünn intonierenden Jean-Paul Fouchécourt
stimmlich noch sehr unfertig klang. Den weiblichen Lillas Pastia gab Barbara
Spitz. Etwas unausgegoren klang der von Simon Halsey leider nicht gerade
hochkarätig einstudierte Chor.
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