Passauer Neue Presse, 17.08.2012
Hannes S. Macher
 
Bizét: Carmen, Salzburger Festspiele, 14. August 2012
 
Cool aus Leidenschaft
 
 
"Carmen" wirkt bemüht bei den Salzburger Festspielen - Jubel für Kaufmann
 
Das typische und farbenprächtige "Carmen"-Kostüm einer spanischen Zigeunerin trägt sie nicht, eher ein schwarzes Büßergewand. Doch sie zeigt viel Bein, stakst barfuß über die Bühne und den Laufsteg zwischen Publikum und Orchestergraben. Aber mit ihrer nicht auftrumpfenden, sondern verhalten-erotischen Ausstrahlung wirkt sie auf die Männer ihrer Umgebung keineswegs verlockend sexy. Eher cool als aufregend ist Magdalena Kozená als Carmen in den beiden ersten Akten, um am Schluss, vor ihrer Ermordung durch den eifersüchtigen Don José, ins Zickige abzugleiten. Dazu klingt ihr Mezzosopran sehr hell, bisweilen etwas zu intim. Selbst die Habanera singt sie als "Carmen"-Debütantin eher reserviert, fast wie eine Somnambule, die in ferner Erinnerung von ihrer großen Liebe schwelgt.

Statt sexy eher verhalten-erotisch
Das Klischee von der feurigen und liebesdurstigen Zigeunerin aus der Zigarettenfabrik in Sevilla wollte die Regisseurin Aletta Collins nicht bedienen. Sie reduzierte nicht nur Carmens Leidenschaft auf ein Minimum, sondern verlegte auch die Handlung vom Beginn des 19. Jahrhunderts in die 1930er Jahre. Und doch huldigte die englische Choreografin in ihrer Inszenierung dem Stierkampfmythos und füllte die Orchesterzwischenspiele mit rasanten Flamenco-Tanzeinlagen auf. Dazu vital arrangierte Massenszenen vor der Stierkampfarena als grelles, musicalähnliches Spektakel, für das selbst die Cinemascope-Bühne des Großen Festspielhauses zu klein erschien. Angestrengt bemüht spielten die Wiener Philharmoniker unter Simon Rattles Leitung: Statt südländisch-spanisches Flair und Bizets Feuer und Innigkeit gab's hier hauptsächlich exaktes Musizieren, bisweilen allzu stark forcierend, zu hören. Doch schwärmen lässt sich bei dieser Neuinszenierung von Jonas Kaufmann: Ein Don José voll kraft- und glutvoller Leidenschaft in Stimme und Bühnenpräsenz ist er ebenso wie voll begeisternder Sensibilität in den lyrischen Partien. Wenngleich Kostas Smoriginas als Stierkämpfer Escamillo nach der Pause wegen Unpässlichkeit glücklicherweise durch Massimo Cavaletti ersetzt wurde, so gab Genia Kühmeier geradezu hinreißend das Bauernmädchen Micaela ab. Mit ihrem warm dahin fließenden, betörenden Sopran und ihrem anrührenden Spiel eroberte sie die Herzen Premierenpublikums. Kurzer, intensiver Jubel für alle Beteiligten dieser Festspielproduktion, in dem sich allerdings auch lautstarke Buhs für Magdalena Kozená und Simon Rattle mischten.


 






 
 
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