Badische Zeitung, 21. August 2012
Heinz W. Koch
 
Bizét: Carmen, Salzburger Festspiele, 14. August 2012
 
Carmen und die Todesbotinnen
 
SALZBURGER FESTSPIELE: Simon Rattle dirigiert Georges Bizets Oper – so lyrisch, leise und diskret wie selten.
 
Schwer was los auf der Bühne. Hoher Geräuschpegel, noch bevor die Portalwand im Salzburger Großen Festspielhaus geöffnet wird und ein Ton dieser "Carmen" erklungen ist. Und dann, immer noch musiklos: Flamenco-Tänzerinnen, ganz in schwarz, die wie Todesbotinnen anmuten, in einem Pas de deux die Handlung in Sekundenkürze vorwegnehmen. Und tatsächlich erscheinen sie am tödlichen Ende wieder. Georges Bizets Oper hat so ihr einleuchtendes optisches Leitmotiv. Die Regisseurin Aletta Collins ist im Tanz daheim. Und die choreographischen Züge sind nicht die schlechtesten Momente ihrer Arbeit. Einleuchtend darf sie weiterhin genannt werden, auch solide, im Ganzen eher traditionell-unauffällig. Eine "Carmen", die den Festspielen keine Schande macht, indes gewiss auch nicht in ihre Annalen eingeht.

Der lange Blick, der Carmen und Don José anfangs regelrecht aneinander kettet, ist ein Einschnitt, der haftet, ein Moment mit einer Spur von Magie. Da scheinen zwei nicht voneinander loszukommen. Davon hätte es mehr sein dürfen. Miriam Buethers Räume hätten es hergegeben, die enge Gasse im Finale etwa, durch die das Volk sich zur Arena drängt und an deren Eingang José die Ex-Geliebte von hinten absticht.

Nach der Premiere bei den Osterfestspielen übernahmen die Wiener Philharmoniker wie schon mehrfach in der Vergangenheit den Part, und ihre größere Bühnenaffinität als Staatsopernorchester, ihr Spiel auf die Szene hin gehört zu den Stärken des Abends. Wahre Wunder vollbringen namentlich die Holzbläser, nicht nur im fabelhaft gelungenen Vorspiel zu Akt drei. Mancher ungewohnte Akzent, manche ungewohnte Farbe verdankt sich dem Dirigenten. Simon Rattle bestimmt die Gangart tatsächlich eindeutig – als habe er sich Friedrich Nietzsches Bewunderung des Werks zu eigen gemacht. Es ist eine durchweg leise, diskrete "Carmen", eine, die nie dick aufträgt, die sich obendrein immerzu tanzend zu bewegen scheint, sehr biegsam, mitunter sich wiegend, aufs Genüsslichste abgeschmeckt im geschmeidigen Auf und Ab des Melodischen, im Offenbach-Tonfall des Schmugglerquintetts wie hingetupft, eine abendfüllende sachte Pointe. Dies allerdings auch: seltsam, wie dieser Dirigent und dieses Orchester auch immer wieder am Wackler vorbeischrammen.

Viele Diskussionen ranken sich seit Ostern – auch im Vorfeld des CD-Mitschnitts – um Magdalena Kozená, privat Frau Rattle. Eines wird wohl ewig so sein: Sie ist eine der lyrischsten Interpretinnen der Titelpartie seit langem, ein ausgesprochen heller Mezzosopran, in der Tiefe künstlich eingedunkelt, wie sie überhaupt etwas zu viel "macht", die Leidenschaft nur behauptet. Ihre Spezifika nutzt sie sehr bewusst: die leichte Stimmgebung, die ein nachgerade tändelndes Singen, den Tonfall des Chansons gestattet, der in der lasziv beiseite geträllerten Habanera gipfelt. Und was auch ewig währen wird: Die Kozená ist zur Singtragödin nicht geboren, und wo es ohne dramatische Wallungen nicht abgeht, profitiert sie von der Rücksicht, die ihr dirigierender Gatte, die ein kooperativer Partner wie Jonas Kaufmann walten lassen.

Bezeichnend, dass der ganz große Beifallssturm über der wunderfeinen Micaela der Genia Kühmeier niedergeht. Ihr Duett mit Kaufmanns José gerät zum Weinen schön. Überhaupt Kaufmann: Er scheint in der Form seines Lebens zu sein, glanzvoll, wo er strahlen darf, und überaus einfühlsam, wo’s der oft melancholisch verschatteten Tenorlyrik gilt. So wie er hat das seit Generationen niemand gesungen – wie zuletzt in Zürich schon mit einem herrlichen Pianissimo-B in der Blumenarie.


 






 
 
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