|
|
|
|
Bietigheimer Zeitung, 07. APRIL 2012 |
JÜRGEN KANOLD
|
|
Bizét: Carmen, Salzburger Osterfestspiele, 31. März 2012 |
|
Karajans Erben
|
Ausschnitt:
.... Offiziell, öffentlich wird nun also in Salzburg nicht nachgetreten, und
auch in der Premiere der "Carmen" gab es stürmischen Applaus für die
Berliner Philharmoniker. Mit Georges Bizets Welthit sagte Rattle dann auch
mal reißerisch laut Servus. Nur brillant-perfekt spielte das
Weltklasseorchester die Premiere nicht, eher solide, auch wenn die
Holzbläser wunderschön die Melodien ausmalten. Aber dass die "Berliner" es
genießen, in der Oper großsinfonisch dem Affen Zucker zu geben, das zeigten
sie grandios im Vorspiel zum 3. Akt. Ein musikalisch brodelndes
Stierkampfspektakel. Ansonsten hielt sich die Leidenschaft ganz allgemein in
Grenzen in dieser von Aletta Collins im Tanz verorteten "Carmen", auch wenn
im Großen Festspielhaus ein Ensemble aus Carmen-Doubles regelmäßig
flamencohaft aufstampft.
Die Massenchoreografie ist freudig bewegt,
der Regisseurin gelingt es, die Eifersuchts-Geschichte auszuspielen, das
Personal agiert emotional. Aber die Story läuft konventionell, librettogemäß
ab, in 30er-Jahre-Mode zwischen Zigarettenfabrik, Rotlichtbar und
Riesenkanalrohr. Ein zwingendes Thema hat die britische Regisseurin nicht.
Was zählt, sind Top-Stars. Mit Jonas Kaufmann sang der derzeit wohl
weltbeste Don José, keiner schluchzt mit mehr Tenorschmelz, aber auch sein
gaumiges Piano war am Premierenabend erträglich, ja doch: Kaufmanns
"Blumenarie" war ein Erlebnis. Auch phänomenal: Genia Kühmeier als die treue
Seele Micaela mit leuchtender Innigkeit, reine Empfindung, reinster Sopran.
Kostas Smoriginas als Escamillo: ein gepflegter Bariton, allerdings kein
heißblütiger Torero.
Wenn man schon bei den Rollenklischees ist:
Magdalena Kozena ist eine wundervolle Mezzosopranistin, gefeiert im
Barock-Repertoire, auch eine tolle Mozart-Interpretin, aber eine Carmen ist
sie wirklich nicht. Jedenfalls nicht das verführerische Vollweib, das mit
betörend-brachialer Stimme die Männer (und das Publikum) betäubt. Sie tritt
sehr sympathisch auf, ist eher behütetes Großstadtkind, das in der
Zigarettenfabrik ein Praktikum macht und bei Zigeunern einige Abenteuer
erlebt. Aber weshalb soll sie die Anführerin der Revoltierenden, der
Leidenschaftlichen sein?
Natürlich debattiert das Salzburger Publikum
heftig, weshalb denn nun Dirigent Rattle seine Gattin Magdalena Kozena als
Carmen ins Rennen schickt, wo diese Frau dann auch noch erstochen wird von
einem eifersüchtigen Liebhaber . . . Auch bei der Hochkultur, die sich in
der Pause nicht nur zu Kaviar, sondern auch zu Würstel mit Senf trifft, wird
gerne getratscht.
|
|
|
|
|
|
|
|