Frankfurter Rundschau und Berliner Zeitung, 4.4.2012
Joachim Lange
 
Bizét: Carmen, Salzburger Osterfestspiele, 31. März 2012
 
Ohne Trennungsschmerz
 
Oper „Carmen“ in Salzburg

Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker verabschieden sich aus Salzburg mit Bizets „Carmen“. Die Hauptfigur hingegen lässt es an Leidenschaft fehlen.

Die Salzburger Osterfestspiele waren seit 1967 der lukrative alljährliche Opern-Ausflug der Berliner Philharmoniker. Sie überlebten ihren 1989 verstorbenen Erfinder Herbert von Karajan unter seinen Nachfolgern an dem begehrten Berliner Pult und damit im österlichen Salzburg in dieser Konstellation bis 2012. Auch 2013 wird es Osterfestspiele geben. Nach einem hausgemachten Beinahe-Finanzcrash und dem urplötzlich verkündeten Wechsel der Berliner ins wohl noch verlockendere, südwestdeutsche Baden-Baden führte sich der neu berufene Festspielchef Sir Peter Alward mit einem Coup ein: Auf die nicht wirklich in der Oper heimischen Berliner unter Simon Rattle folgen die Sächsische Staatskapelle Dresden und ihr künftiger Chef Christian Thielemann. Also ein Opernorchester von Rang mit einer ungebrochenen Tradition und einem dazu geradezu genetisch passenden Dirigenten!

Das ist nicht nur das große Vermarktungslos für Dresden und ein Gewinn für Salzburg, sondern bringt obendrein – mehr als zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung – in der Orchesterwelt auch wieder etwas ins rechte Lot. Wohl deshalb bestimmte im Umfeld des jüngsten Salzburger Luxus-Opernostereis (mit Kartenpreisen bis 500 Euro) weniger der Abschiedsschmerz, als die Vorfreude die Atmosphäre. Hinzu kommt, dass man mit einer „Carmen“-Produktion und Jonas Kaufmann als dem wohl derzeit besten Don José beim zahlungskräftigen Publikum nichts riskieren wollte.

Aber die Oper heißt nicht von ungefähr „Carmen“. Und da ist Rattles Ehefrau Magdalena Kožená einfach eine Fehlbesetzung. Lag Kaufmanns tödliche Bühnenaffäre mit Vesselina Kasarova in Zürich schon leicht neben der klassischen Rollenerwartung, so hatte sie doch eine Überzeugungskraft, der man auch die Chefin der Zigarettenfabrik abgenommen hätte. Koženás Carmen aber bleibt damit verglichen doch eher eine Wackelkandidatin in der Probezeit. Eine verschlagene Göre, die zu ihren Gymnastikübungen halt gern die Habanera singt. Das macht sie zwar intonationssicher, bis an die Grenze ihrer Möglichkeiten. Doch das dunkel lodernde Feuer der Leidenschaft, das die anderen und sie selbst verbrennt, glimmt bei ihr allenfalls. In Salzburg misst das Publikum (bei den Preisen ganz zu Recht) den Star an idealtypischen Rollen-Vertreterinnen. Und so fielen denn in der Pause vor allem die Namen anderer Carmen-Darstellerinnen und der Einzel-Beifall am Ende eher höflich aus.

Da also das Zentrum der Produktion schwächelte, verschob sich der vokale Schwerpunkt allzu sehr hin zu Kaufmann und zu Genia Kühmeiers bejubelter, weil Rollen-adäquater Micaëla. Als Escamillo bleibt Kostas Smoriginas zwar nicht die stimmliche Eleganz, aber den überzeugenden und verführerischen Stierkämpfer schuldig und bei seinem Auftritt vor dem Kampf sogar die schlichte Körperhaltung. Was irgendwie wieder zu dieser Carmen passt. Freilich anders, als in Bizets emotionalem Katastrophenszenario gedacht.

Ganz ohne Ehrgeiz

Szenisch bietet die vom Tanz kommende britische Regisseurin Aletta Collins eine solide bebilderte Erzählung, in der Originalität nur da aufblitzt, wo sie sich als intelligent assoziierende Choreografin einbringt und mit Balletteinlagen ihrer Carmen-Doubles aufwartet. Die sind von Gabrielle Dalton, wie das ganze Personal, im 1930er-Jahre-Schick ausgestattet. Ansonsten wird brav nacherzählt. Den Ehrgeiz zum Psychothriller (wie Calixto Bieito in Basel) oder einem bis in die Gegenwart verlängernden Diskurs über Tod und Leidenschaft (wie in Berlin bei Sebastian Baumgarten) hat Collins offenkundig nicht. Mit professioneller Massen-Choreografie füllte sie immerhin Miriam Buethers opulente Bühne aus. Von der zweietagigen Raumkombination aus Zigarettenfabrik, Versandabteilung (in Kurzarbeit), Kantine und Kaserne über das rotlichtdunkle Keller-Etablissement von Lillas Pastias und eine urbane Steilküstenadaption mit Riesenkanalrohr im Schmugglerbild bis zur iberischen Gassenschlucht vor der Arena für den Eifersuchtsmord am Ende. Im Detail geht es bei ausgelebter Eifersucht und den Szenen aus dem Schmugglerleben mitunter sehr konventionell zu. Der offenbar auf eine Festwiesenparaphrase zielende Massenauflauf vor der Area wirkt dann so aufgesetzt wie das halbe Dutzend Kopfmasken.

So läuft die Geschichte ab, ohne dass sie es schafft, die Zuschauer wirklich in ihren Bann zu ziehen. Rattle und seine Philharmoniker begleiteten sie technisch in vielen Details gekonnt, aber ohne den überspringenden, zündenden Opern-Funken. Immerhin gingen, auch dann, wenn Rattle Lautstärke demonstrierte, die Sänger nicht unter, zumindest im Rang nicht. Ein ergreifendes Opern-Ereignis lieferte aber auch der Graben nicht.

 






 
 
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