NZZ, 2.4.2012
Daniel Ender
 
Bizét: Carmen, Salzburger Osterfestspiele, 31. März 2012
 
Der Tanz in den Tod
 
Abschied der Berliner Philharmoniker von den Osterfestspielen Salzburg mit Georges Bizets «Carmen»

Mit allen Zeichen äusseren Erfolgs, doch – allem Starglanz zum Trotz – künstlerisch ziemlich unspektakulär neigt sich eine 45-jährige Ära ihrem Ende zu: der Auftritt der Berliner Philharmoniker unter ihrem Chefdirigenten an den Salzburger Osterfestspielen (siehe rechtsstehenden Artikel). Zum Abschied hatte sich Simon Rattle für Bizets «Carmen» und dabei für die Fassung von Fritz Oeser aus den sechziger Jahren entschieden, mithin für eine Version mit gesprochenen Dialogen. In dieser Form war die Oper bei ihrer Uraufführung gehörig durchgefallen; erst mit nachträglich komponierten Rezitativen hatte sie ihren Siegeszug um die Welt angetreten.

Leicht liesse sich argumentieren, der Wechsel zwischen Sprechen und Singen bedeute einen nicht zu bewältigenden ästhetischen Bruch oder die aufgeführte Fassung entspreche nicht mehr dem letzten Forschungsstand. Doch auf musikalischer Seite gelang es Rattles Salzburger Produktion trotzdem, eine spezifische Sicht auf das Werk zu verdeutlichen. Denn «Carmen» trägt nicht nur durch das gesprochene Wort Zeichen der Opéra comique, sondern ebenso durch buffoneske, milieuschildernde und episodische Züge.

Dem entsprach etwa die Besetzung kleinerer Partien mit Charakterstimmen, vor allem aber Rattles Hang zur Leichtigkeit und Zurücknahme. Leise und duftig grundierte er die Partitur, mit zügigen, elastischen Tempi, betonte weniger das exotische Kolorit als die beinahe leitmotivisch eingesetzten Orchesterfarben und verhalf etlichen keineswegs bedeutungslosen Nebenstimmen zu ihrem Recht. Rattles Tendenz zu verhaltener Dynamik ermöglichte es auch den Sängern, unter den schwierigen Bedingungen des Grossen Festspielhauses zu bestehen: Magdalena Kožená gab die Titelpartie äusserlich kühl, sängerisch durchaus mit Temperament und vielfachen Abschattierungen, wobei sie aber die Gefahr des Tremolierens nicht immer bannen konnte. Und der Don José von Jonas Kaufmann klang trotz lyrischen Qualitäten oft kehlig und eng und gefiel sich häufig in manierierten Schluchzern, so dass Genia Kühmeier als stimmlich vollkommen ausgeglichene, warm strömende Micaëla allen anderen den Rang ablief.

Besonders sie wurde allerdings von der unbeholfenen Regie alleingelassen. Die Choreografin Aletta Collins hatte zwar proklamiert, es ginge ihr darum, «einen frischen Zugang zu dieser Geschichte zu finden», doch erschöpfte sich dieser weitgehend in ständiger Bewegung einschliesslich einförmiger Chorszenen. Zugegebenermassen bedeuten die grosse Bühne und der grosse Zuschauerraum nicht bloss ein akustisches Problem, ist es nicht leicht, hier die Spannung zu halten. Praktisch das ganze Stück durchzuchoreografieren, war da allerdings auch keine tragfähige Lösung: Dass auf einem Arena-artigen Laufsteg rund um den Orchestergraben (Bühnenbild: Miriam Buether) schon während der Ouvertüre und bei jeder anderen Gelegenheit gestampft, getanzt und viel nackte Haut gezeigt wurde, war wohl als erotisierend gedacht. Die Wirkung war allerdings bloss die einer läppischen und leichten Beigabe – und für manche im Publikum schon Stein des Anstosses.

 






 
 
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