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Wiener Zeitung, 2.4.2012 |
Von Christoph Irrgeher |
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Bizét: Carmen, Salzburger Osterfestspiele, 31. März 2012 |
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Carmen, sehr anständig
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Die letzte Osterfestspiel-Oper der Berliner Philharmoniker in
Salzburg |
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Nein, die Berliner Philharmoniker sind noch nicht weg. Sie sind nur etwas
schwerer zu finden bei dieser Opernpremiere im Großen Festspielhaus. Zum
Auftakt ihrer letzten Salzburger Osterfestspiele, diesem Schlusspunkt einer
Tradition seit Karajan selig, haben sie sich gewissermaßen verschanzt.
Hinter dem Orchestergraben ragt die Rampe hoch, vor dem Orchester zudem ein
dünner Steg. Er ist mit den Bühnenflanken verbunden, umschließt das Ensemble
von vorn und trennt es vom Saal.
Eine Sicherheitsmaßnahme angesichts
des Vorjahres, als die Berliner Abzugspläne Verdruss bis Wut auslösten? Wäre
unnötig. Seit ein weißer Ritter für die Festivalzukunft gefunden ist
(Christian Thielemann und die Staatskapelle Dresden), ist der Knacks im
Salzburger Ego Geschichte. Ohnedies soll der erwähnte Steg ja eher
künstlerisch nützen als schützen: vor allem als Raumgewinn für jene
Ballettfachkräfte, die Aletta Collins auf ihre "Carmen"-Regie loslässt.
Schon während der Ouvertüre umrunden Tänzerinnen das Orchester, heben sich
Röckchen über Musikerköpfchen: Erotik olé!
Wobei da wohl auch eine
Botschaft mitschwingen soll: Wenn weibliche Sinnlichkeit zur Waffe wird, hat
die Frau die Lufthoheit. Stimmt es? Für die Männerfresserin aus Georges
Bizets Opernhit gewiss. Nur leider: Bei der Salzburger Umsetzung bleiben
Trieb, Drang und Machtstreben recht überschaubare Größen.
Starrheit,
die bedroht Daran ist nicht nur, aber vor allem die Regie schuld. Collins
hat "Carmen" in den spanischen Bürgerkrieg verfrachtet, heißt es. Ein
unbestätigtes Gerücht. Abgesehen von einer Kellerversammlung und einer
Kanalbegehung lässt kein Bild Rückschlüsse auf Eigeninitiative zu. Der Rest:
"Carmen"-Dekor, das Staatsoperngeher nur insofern vor der Desorientierung
bewahrt, als es hier Tanzeinlagen hagelt. Doch wie steif dafür die Chöre!
Skurril, dass sich ein starrer Leutnant von einer festgefrorenen Gaunerbande
bedroht fühlen kann. Sollte Bewegungsarmut tatsächlich als bedrohlich gelten
dürfen, ist das Ende der Szene nur konsequent: Dann wird der steife Leutnant
von José erschossen. Vermutlich aus Notwehr.
Umso agiler muss sich
Carmen gebärden. Tanzen, Kastagnettenklackern, Streicheln, Aufsitzen auf Don
José: Ein Glück, dass Magdalena Kožená eine Nachtklub-Stange erspart blieb.
Ihre erotische Tour de force lässt nachgerade fürchten, der dirigierende
Gemahl Sir Simon Rattle könnte mit gezücktem Taktstock die Bühne stürmen.
Doch bei allem Respekt vor Koženás Engagement: Ihre Show wirkt wie von
harter Hand erzwungen. Nicht, dass die Tschechin kein Charisma entfalten
könnte. Doch strahlt sie hier eher geheimnisvolle Entrücktheit aus als jene
handfeste Erotik, wie sie im Librettisten-Buche steht. Gesanglich? Da sitzt
fast jede Note, mancher Spitzenton strahlt. Und doch ist Kozenas Carmen
nicht mehr als - sehr anständig.
Spannkraft erschlafft
Mitverantwortlich aber auch Rattle, der sich offenbar eine Extremwertaufgabe
gestellt hat: Wie leise lässt sich "Carmen" dirigieren?
Zwar weiß man
es aus Konzerten: Wenn Sir Simon unterspielt, zurrt er die Spannung oft noch
fester. Doch hier erschlafft dann oft die Spannkraft; und ein paar
kompensatorische Kracher ändern wenig. Rein musikalisch gilt freilich: So
eine hauchzarte "Habanera" ist schon ein Kabinettstück; überhaupt
bemerkenswert, die Orchesterfinesse aus Berlin. Ein Jammer, dass diese
Feinmechaniker des Effekts zum Konkurrenzfestival nach Baden-Baden abziehen.
Da mag es trösten, dass Jonas Kaufmann und Genia Kühmeier wiederkehren
könnten: Überwältigt diese Micaela mit einer Engelsstimme von energischer
Prägnanz, ist dieser Don José eine Großmacht der
schluchzig-schallenden Italianità. Das Gros der Festspiel-Kollegen
liefert leider nur respektable Leistungen. Immerhin: Der Zuniga (Christian
Van Horn) ist kernig, die Chor-Präzision hoch - was der Konzertvereinigung
Wiener Staatsopernchor wohl umso leichter fällt, als sie von der Regie
selten behelligt wird. Höflicher Beifall für Collins; frenetischer für
Rattle und die scheidenden Berliner.
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