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Die Presse, 01.04.2012 |
WALTER WEIDRINGER |
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Bizét: Carmen, Salzburger Osterfestspiele, 31. März 2012 |
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Diese Carmen kann niemanden entflammen
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Die Berliner Philharmoniker unter Simon Rattle - ab 2013 in Baden-Baden - enttäuschten bei ihrer letzten Opernpremiere in Salzburg. Bizets "Carmen" war weitgehend langweilig, den vielen Tanzeinlagen zum Trotz. |
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Eh bien! Damnée!“, ruft Don José und will die einst so Geliebte in die Hölle
befördern, bricht aber mit dem Messer in der Hand schluchzend zusammen.
Carmen lacht den Schwächling höhnisch aus und stöckelt davon – würde das
Drama diesmal wirklich anders ausgehen? Da springt er im letzten Augenblick
noch auf, hetzt ihr nach und rammt ihr den Dolch in den Rücken: hässlich,
gewiss – und von tragischer Wahrhaftigkeit. Vor allem jedoch: nach drei
Stunden der erste wirklich spannende Moment dieser insgesamt lahmen
Opernpremiere bei den Salzburger Osterfestspielen, den vielen Tanzeinlagen
zum Trotz.
Als er Wagner schon nicht mehr ertragen wollte und konnte,
schrieb Friedrich Nietzsche nach seiner 20.„Carmen“-Vorstellung: „Wie ein
solches Werk vervollkommnet! Man wird selbst dabei zum ,Meisterstück‘.“
Lässt man des Philosophen übersteigerte Metaphorik auch ausnahmsweise
gelten: Eine solche Gnade zu erleben und auch schlüssig umzusetzen, das war
dem Leading Team definitiv nicht beschieden, der Regisseurin Aletta Collins,
Miriam Buether (Bühnenbild) und Gabrielle Dalton (Kostüme) sowie dem
Dirigenten Sir Simon Rattle, der sich erstmals mit der Partitur befasste –
und überrascht war, wie viel Pianissimo-Vorschriften er darin fand. Denn
etliche interessante, detailreiche Inszenierungsideen sorgten zwar für viel
Ambiente, wirkten aber selten optimal mit Rattles Konzept und der nur
teilweise wirklich passenden Sängerbesetzung zusammen. Diese blieb zudem von
der Personenführung her etwas unterbelichtet.
Kožená: eine Carmen
ohne Kreatürlichkeit
Allen voran Magdalena Kožená. Natürlich ist es
ein dummes Klischee, als Carmen von vornherein nur schwarzhaarige,
vollbusige Sängerinnen gelten lassen zu wollen – nicht zuletzt deshalb, weil
Erotik ja sehr individuell funktioniert. Mit ihrem schlanken,
modulationsfähigen Mezzosopran erfüllt Kožená die Partie mit höchst
nuanciertem Ausdruck und lässt sich auch dort nicht zum Forcieren verleiten,
wo etwas mehr Volumen wünschenswert wäre. Dafür gebührt ihr Respekt.
Trotzdem aber bleibt sie alles schuldig, was das Kreatürliche der Figur, das
Zusammenspiel von Freiheitsliebe und Freizügigkeit, optisch glaubwürdig
machte: Räkelt sie sich am Boden oder schlingt ihre gelenkigen Beine um
diesen oder jenen, macht das alles bloß neutral gymnastischen Eindruck: ein
Kunstprodukt. Am Schlüssigsten wirkt sie, eine gelungene Pointe der
Inszenierung, im letzten Akt als gleichsam verbürgerlichte Torero-Tussi.
Hier zieht auch die Regie schließlich alle folkloristischen Register
inklusive Konfettiregen und fähnchenschwingender Kinder, die zuvor
zurückgeschraubt sind: Die Handlung spielt im Bürgerkriegsambiente des 20.
Jahrhunderts, in einer heruntergekommenen Zigarettenfabrik, in einem
Bordell, geführt von einer lesbischen Puffmutter (Barbara Spitz als Lillas
Pastia), bei den Schmugglern à la „Dritter Mann“ in der Kanalisation.
Das funktioniert großteils gut, wobei die Zwischenspiele vertanzt werden
und überhaupt an neuralgischen Punkten der Handlung ein Corps von
„Flamenco-Nornen“ auftritt, die die Balustrade zwischen Publikum und Graben
ebenso bevölkern wie die übrigen Darsteller.
Doch da beginnen schon
wieder die nächsten Probleme: Collins will möglichst realistisch wirken –
wobei ihr bei den Kampfszenen immer wieder die entscheidenden letzten Meter
zum offensichtlichen Ziel der Filmreife fehlen und manchmal schlicht so viel
Krach von der Bühne kommt, ob von schreienden Kindern oder kreischenden
Frauen, dass Bizet teils zur Unhörbarkeit verdammt wird. Dabei liebt Rattle
die zarten Passagen der Partitur besonders, die er als Vorboten des
Impressionismus deutet und in denen er sich mit den keineswegs unfehlbaren
Berlinern genießerisch ausbreitet. In den auf Brillanz zielenden raschen
Teilen, etwa schon im Vorspiel, überzieht er dagegen die Tempi: Prägnante
Artikulation ist bei der Hetzerei nicht mehr möglich, nur knallig-wummernde,
oft um Sekundenbruchteile zu früh kommende Schlagzeugattacken – welche
gemeinsam mit dem Bühnenlärm in der heiklen Akustik des Großen
Festspielhauses besonders vor der Pause die Melodiestimmen teils arg in den
Hintergrund drängen. Erst danach entzerrt sich das Klangbild etwas.
Musikalische Spannung lässt sich so freilich keine aufbauen.
Kühmeier: Eine lyrisch leuchtende Micaëla
Einen Tenor vom Format
Jonas Kaufmanns bringt das nicht aus der Ruhe. Er imponiert durch
kraftvoll-routiniertes Schluchzen und kann als José in der Blumenarie das
hohe B gar an- und wieder abschwellen lassen. Dass der Ton dennoch keine
gefühlvoll-süß lautende Phrase krönt, liegt an seinem baritonal-kehligen
Timbre, an dem sich die Geister scheiden. Szenisch kommt er zudem kaum aus
der Fadesse heraus, mit der er die Soldatenszenen am Anfang zu mimen hat:
Funken sprühen zwischen ihm und Kožená keine, und selbst wenn er Zuniga
(markant: Christian Van Horn) in einem Betriebsunfall erschießt, weil er mit
der Pistole in der Hand mit Carmen schmust, schürzt das den dramatischen
Knoten nicht sonderlich. Zudem hat er in Kostas Smoriginas (Escamillo) einen
darstellerisch sehr leichtgewichtigen, stimmlich mit meist kernig-rauen
Tönen leidlich passablen Konkurrenten.
Allein Genia Kühmeier als
Micaëla, mit Gretelfrisur und Rotkreuztasche ausgestattet, aber doch gar
nicht langweilig, kommt an der Spitze des braven übrigen Ensembles mit
lyrisch leuchtendem Klang der Erfüllung nahe. Ihr galt der besondere Dank
des übrigens widerspruchslos begeisterten Publikums.
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