Drehpunkt Kultur, 1. April 2012
Von Reinhard Kriechbaum
 
Bizét: Carmen, Salzburger Osterfestspiele, 31. März 2012
 
Die Kessler-Zwillinge und der Dritte Mann
 
 
Und mag sie auch vom Typ ganz und gar nicht für die Rolle zu passen scheinen: Wenn in Lillas Pastias Schenke die Kessler-Zwillinge auf Herrenkundschaft warten und die Schmuggler ihre Wege durch das Kanalsystem von Sevilla nehmen – dann geht Magdalena Kožená allemal durch. Sogar als Carmen.

Ja wirklich: Frasquita und Mercedes, zwei der Zigeunerinnen aus dem Schmuggler-Umfeld Carmens, sind in der spanischen Schenke – einer Rotlicht-Milieu-Bar – als blonde Zwillinge hergerichtet und staksen andauernd im Gleichschritt über die Bühne. Dort sitzen, solange die Chornummer dauert, die Soldaten ziemlich untätig herum und verlassen die Szenerie unverrichteter Dinge wieder in Reih und Glied. Kurzvisite im Puff, man gönnt sich ja sonst nichts.

Von einem absonderlichen szenischen „Carmen“-Arrangement ist zu berichten. Die Regisseurin – die Londonerin Aletta Collins – ist im Hauptberuf Choreographin. Ihre Arbeit beschränkte sich vornehmlich darauf, dem Chor und den Statisten jede halbwegs natürliche Beinarbeit auszutreiben. Es gehen Soldaten und Arbeitervolk beiderlei Geschlechts ziemlich geziert herum, wenn sie nicht ohnehin bloß herumstehen. Im ersten Akt warten sie in langer Schlange bei der Fabrikskantine auf Kaffee in Pappbechern. Law and Order in Sevilla, so hat man’s gern.

Was die Belebung der Urbanität anlangt, scheint es ein gravierendes Missverständnis im Vorfeld der Produktion gegeben zu haben: Es wurden Chor und Protagonisten en Masse gecastet, wogegen man der Bühnenbildnerin Miriam Buether offenbar verschwiegen hat, dass sie es im Großen Festspielhaus mit einer der größten Opernbühnen Europas zu tun hat. Sie hat also die Bühne zugebaut (die Dekorationen müssen ja auch einmal ins koproduzierende Madrider Teatro Real passen). Die Folge in Salzburg: Es herrscht oft allergrößtes Gedränge auf der Bühne. Im dritten Akt ist im Libretto von mühsamem Abstieg die Rede, und den nehmen die Szeniker vom Sevillier Straßenniveau aus: Also ziehen die Schmuggler durchs Kanalsystem der Stadt, wo es auch wieder recht eng ist. Wenn sie so dastehen, sieht es nach überfülltem Bahnsteig in einer U-Bahn-Station aus. Aber der Zug kommt nicht, dafür Micaela. Und sie geht mit José in die andere Richtung, durch eine Seitenkanal-Röhre ab. Kein Wunder, dass das Carmen nicht anturnt und sie letztlich beim maskulinen Alphatier, dem Torero landet.

Das sind Streiflichter auf eine sagenhaft törichte, in der Stimmungsmalerei unüberbietbar triste Inszenierung. Sänger, die sich dagegen durchsetzen, müssten wohl erst erfunden werden. Halt, eine ist schon erfunden: Genia Kühmeier als Micaela lässt einen in ihren beiden Szenen wirklich all die Tristesse rundum vergessen. Sie öffnet die Seelen der Zuhörenden, die ihr zuletzt entsprechenden Jubel bereiteten. Sehr gerecht, dass der Applauspegel bei ihr ungleich höher lag als bei Magdalena Kožená. Die ist eine kluge Sängerin und weiß sehr wohl, dass sie keine Carmen ist, die sie – no na, als Mezzosopran – doch so gerne wäre. Sie hat nicht nur wenig Charisma, man nimmt ihr das Urwüchsige nicht ab, es fehlt vor allem stimmlich die wirkkräftige tiefe Lage – was sie durch allerlei gestalterische Manierismen ersetzt. Trotzdem wäre viel zu retten, vorausgesetzt eine Regie auf der Basis genauen Hinsehens und Hinhörens.

Dank Sir Simon Rattle ist Magdalena Kožená aber immer bestens zu hören: Er geht, kein Wunder bei ihm und den Berliner Philharmonikern, die Partitur von den kammermusikalischen Optionen her an, gar nicht aufgedreht südländisch, sondern ruhig und am bläser-funkelnden Detail festgemacht. Da schließt man gerne die Augen und hört einfach zu. Und da fällt wieder der große Abstand auf zwischen der in Richtung expressiven Ausdrucks sich verausgabenden Magdalena Kožená und den anderen Protagonisten: Jonas Kaufmann ist so stimmlich souverän wie gestalterisch unbestimmt. Der Litauer Kostas Smoriginas ist ein durchsetzungskräftiger, aber etwas einförmig-dumpf timbrierter Escamillo. Ordentlich besetzt sind die Randfiguren, mit Christina Landshamer und Rachel Frenkel (Frasquita und Mercedes), mit Christian Van Horn (Zuniga) und André Schuen (Morales) sowie mit Simone de Savio und Jean-Paul Fouchécort (Dancaira, Remendado).

Weitere Auffälligkeiten: Weil es auf der Bühne zu eng ist, wurde die Brüstung zwischen Orchestergraben und Zuschauerraum zum Laufsteg verbreitet. Zwölf rassige, schwarzberockte Spanier-Mädels tanzen dort, zeigen Bein – und die Spanien-Folklore sieht ein wenig so aus, als ob Offenbach seinen Cancan umgeschrieben hätte. Getanzt wird immer, wenn ein paar Musik-Takte frei sind. Soll so sein, ist ja eine Opera francaise. Gespielt wird die Version mit gesprochenen Zwischentexten; ein Anflug von Philologie.

Und wie hat das Premierenpublikum auf die Regie reagiert? Mit Begeisterung, man glaubt es nicht. Viele haben sich vielleicht von den Kessler-Zwillingen an ihre schöne Heimat erinnern lassen, wo auch das Unterhaltungshandwerk etwas durch und durch Redliches verströmt.









 
 
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