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Salzburger Nachrichten, 1. April 2012 |
Von Karl Harb |
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Bizét: Carmen, Salzburger Osterfestspiele, 31. März 2012 |
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Eine "Carmen" zwischen den Stühlen
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Es schien, als würde sich das Premierenpublikum erst nach und nach erwärmen
für diese Interpretation einer der populärsten, aber unter künstlerischen
Prämissen auch heikelsten Opern des klassischen Repertoires. Am Ende
jedenfalls gab es ungeteilten Beifall für das Regieteam (Aletta Collins,
Inszenierung und Choreographie; Miriam Buether, Bühnenbild; Gabrielle
Dalton, Kostüme). Den größten Sängerapplaus erhielt - zu Recht - Genia
Kühmeier als berührende, mit lyrischer Wärme unangestrengt überzeugende
Micaela. Ihr am nächsten kam Jonas Kaufmann, der für eine untadelige,
routinierte Leistung als Don José belohnt wurde. Sehr wohlwollend
aufgenommen schließlich: Magdalena Kozena, die als Carmen ihr Rollendebüt
gab.
Auf dieses blickte man besonders gespannt, entspricht doch die
tschechische Mezzosopranistin so gar nicht dem Typ, der mit Carmen verbunden
wird. Die Zigeunerin, die ihr Leben in freier Willensentscheidung ganz aus
dem Augenblick lebt, aus unmittelbarer Intuition und Empfindung und
furchtlos vor dem und bis in den Tod, braucht eigentlich eine
vielschichtige, charaktervolle Singdarstellerin. In ihr vereinen sich Erotik
und Laszivität, Sinnlichkeit und Tragik, Leichtlebigkeit und Tiefe,
Triebhaftigkeit und Sensitivität.
Man spürt durchaus, dass sich
Magdalena Kozena intensiv auf diese Rolle vorbereitet haben muss. Sie
versucht das Profil einer unabhängigen Frau zu entwerfen. Sie will nicht
vorschnell oder gar direkt den Siedepunkt der Emotionen erreichen und dann
in großen, leidenschaftlichen Posen mit sich, ihren Mitmenschen und dem
Publikum spielen. Sie bleibt kühl, zuweilen sogar bis zur
Teilnahmslosigkeit. Sie lässt dem Schicksal ihren Lauf, lässt geschehen, was
Laster und Liebe aus ihr machen.
Das könnte ein interessant
gegenläufiges, unangepasstes Porträt werden, wäre es stimmdarstellerisch
auch beglaubigt. Doch hier stößt Kozena rasch an allzu deutliche Grenzen: in
der fehlenden Raffinesse und vor allem Mischung der Farben, in der
mangelnden Strahlkraft einer Stimme, die zwar das Chansonhafte, das die
Partie erfordert, angemessen zur Geltung bringt, auch das Element des
Erzählerischen (in der Kartenszene des 3. Akts), die aber an kräftiger
Attacke und Volumen kaum das Nötige zu bieten hat. So wirkt das dramatische
Flair der Rolle seltsam neutral, steigert sich auch nicht wirklich in der
finalen Todesszene, auch wenn Kozena dafür die Reserven ordentlich dosiert.
Diese Carmen landet letztlich irgendwie zwischen den Stühlen.
Dort
sitzt bemerkenswerterweise auch ihr dirigierender Gatte, Sir Simon Rattle.
Zwar hat er, so weit das überhaupt festlegbar ist, auf die originale Version
der opéra comique (mit gesprochenen Dialogen) zurückgegriffen, ohne aber
idiomatisch überzeugend dem Ideal des Leichten, Pointierten, flüssig
Beredten entsprechen zu können. In zurückhaltender Dynamik werden durch die
Spielkultur der Berliner Philharmoniker viele Details und Valeurs hörbar,
aber sie gewinnen keine erzählerische Qualität fürs Ganze. Da spielt der
Riesenraum des Festspielhauses wohl auch akustisch nicht richtig mit. Er ist
nicht geeignet, um die nötige Intimität und Direktheit einer opéra comique
zu erhalten. Und so wirkt auch der Kontrast zu den Massenszenen nicht
organisch, sondern oft allzu aufgesetzt, explosiv.
Um eine größere
Nähe zum Auditorium herzustellen, wurde vor dem Orchestergraben ein Laufsteg
platziert, der freilich nicht wirklich mitspielt, eher bloß eine erweiterte
Auftrittsfläche schafft. Fürs pittoreske Arrangement der Hundertschaften an
Chören und Tänzern hat Regisseurin Aletta Collins das nötige Feeling. Auch
Atmosphäre (etwa in der schummrigen, verruchten Schenke des Lilas Pastia)
kann sie schaffen. Dass die Schmuggler durch einen Kanal müssen und nicht
mehr durch eine "wilde Felsengegend", ist Geschmacksache. In der
Personenführung der Protagonisten, aber auch der individuelleren
Charaktersierung der Massen bleibt die Handschrift der Regisseurin jedoch
konventionell, pauschal und ungefähr. Wenn man so will: ein weiterer Platz
zwischen den Stühlen.
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