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Berliner Zeitung, 23.04.2012 |
Von Martin Wilkening |
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Bizét: Carmen, Philharmonie Berlin, 21.4.2012 |
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Endgültiger Abschied von Salzburg
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Mit Bizets „Carmen“ haben sich die Philharmoniker und Simon Rattle vor
einigen Wochen für immer aus ihren Salzburger Engagements verabschiedet.
Herbert von Karajan hatte einst die alljährlichen Osterausflüge vom
West-Berliner Inselleben ins mondäne Salzburg etabliert, die vom Orchester
wohl zunehmend als einengend empfunden wurden.
Nach dem Rückzug der
Berliner hat Salzburg für die Zukunft die Dresdener Staatskapelle
verpflichten können und die Philharmoniker hoffen, dafür Freiräume für
eigene Projekte zu gewinnen. Die Welt, der man früher einmal nach Salzburg
entgegenreisen musste, lässt sich inzwischen allzu gerne auch nach Berlin
locken. In den Foyers der Philharmonie, wo die „Carmen“ jetzt in einer
einzigen Aufführung noch einmal konzertant gegeben wurde, schwirrten überall
italienische und englische Worte durch die Luft. Ganz ausverkauft war der
Saal allerdings trotz sängerischer Starbesetzung nicht.
Da fehlen die
Bilder
Das mag auch damit zusammenhängen, dass „Carmen“ ganz gewiss
keine Oper ist, die sich für eine konzertante Aufführung anbietet, im
Gegensatz etwa zu Bizets „Perlenfischern“, deren Reiz sich in statisch
angelegten Musiknummern erschöpft. In „Carmen“ ist die Musik wirklich ein
Teil der verdichteten szenischen Aktion, sie bewegt und kommentiert das
Handeln der Figuren, braucht die Szene als Widerpart. Die sozial scharf
gezeichneten Orte, zwischen Fabrik, Militärposten, Spelunke und Arena sind
mehr als romantische Dekorationen, sie geben jener Körperlichkeit den
Rahmen, an der sich die Handlung abarbeitet. Durch ein kulissenhaftes
Sevilla allein wird die „Carmen“ nicht automatisch authentischer, Peter
Brook genügte einst ein einfacher auf den Boden der nackten Bühne
gezeichneter Kreis. Aber so wie in der Philharmonie, wo chorische Massen die
Bühne füllen, die Solisten statisch in der Ferne zwischen Orchester und Chor
aufgereiht, will lange nicht nur keine rechte „Carmen“-Stimmung aufkommen,
vieles in der räumlich gestaffelten und illustrierenden Musik entwickelt
kaum seinen rechten Sinn.
Versteckte Sänger
Die Aufführung ist
gleichzeitig Teil einer Plattenproduktion, und dieser ist wohl auch die
Aufstellung der Mitwirkenden geschuldet, die die ersten Violinen hinter die
zweiten rückt, was für die Mikrofone Sinn machen mag, den Ohren im Saal aber
einen dauerhaft verschatteten Klangeindruck beschert. Dass die Sänger hinter
dem Orchester postiert sind, erzeugt für die Aufnahme die richtige
Tiefenstaffelung, wirkt aber für eine konzertante Opernaufführung
widersinnig. Und es lässt vor allem das, was Magdalena Kozena aus ihrer
Titel-Rolle macht, nur schwer zur Wirkung kommen.
Kozenas Carmen, die
nicht auf sinnliches Gurren, sondern auf allerlei feine Zwischentöne im
stolzen Spiel mit dem Feuer setzt, lebt von einer Nähe zum Publikum, die man
als Intention ebenso ahnt, wie man sie als vorenthaltene vermisst. Kommt
hier für ein intensives Rollenporträt bei aller Kunst einfach zu wenig
rüber, so wirkt die zickige Keiferei, mit der sie im letzten Akt akustisch
saalfüllend Don José angiftet, eher irritierend. Leichter hat es da Genia
Kühmeier in der sentimentalen Micaela-Rolle, sich in die Ohren des Publikums
einzuschmeicheln, mit zwar zuweilen etwas spitzer und scharfer Stimme, aber
einem wunderbaren Legato und großer dynamischer Spannweite. Dem Don José von
Jonas Kaufmann kann man glühende Leidenschaftlichkeit und Durchschlagskraft
im letzten Akt nicht absprechen. Was zumal bei einer konzertanten
Aufführung, wo nichts durch das Spiel kompensiert werden kann, jedoch als
echtes Manko erscheint, ist die Brüchigkeit seiner Stimme, die sich
unfehlbar einstellt, sobald er leise singt. Reine Freude bereiten dagegen
der leuchtkräftige Chor der Staatsoper und die vielfarbig besetzten
kleineren Partien.
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