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klassik.com |
Frank Fechter |
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Bizét: Carmen, Philharmonie Berlin, 21.4.2012 |
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Rattle und seine Berliner mit großer Oper
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'Carmen' konzertant |
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Nach ihrer letzten Opernproduktion bei den Salzburger Osterfestspielen
präsentierten die Berliner Philharmoniker unter ihrem Chef Simon Rattle die
dort mit gemischten Kritiken aufgenommenen 'Carmen' nun auch in der
ausverkauften Berliner Philharmonie: Bizets farbenreiche Partitur in concert
sozusagen. Dass die Berliner Philharmoniker dabei sinfonisch glänzen
konnten, steht außer Frage. Rattle entfacht mit den ersten, lautstarken
Tuttitakten das Kolorit eines musikalischen Phatasie-Spaniens, lässt die
Streicher süffig das Torero-Thema anschließen und steigert feinsinnig zum
dramatischen Höhepunkt des Vorspiels, bevor dies mit einem Schlag abreißt
und die rhythmisch weicheren, leicht plappernden Figuren der
Chor-Introduktion einsetzen. Der satte Streicherklang wird den Abend prägen,
dabei dynamisch fein gestaffelt mit immer wieder warmen, belebenden
Pizzicati ausgestattet. Schlagwerk und Blech knallen bewusst dagegen; die
Trompetensignale sind brillant, das Piccolo begleitet frech, das Holz hat
wunderbare Momente in der Mischung und in den Soli. In den kurzen Vor- und
Nachspielen der Nummern kann man immer wieder neue Details entdecken, die
man glaubt zuvor nie wahrgenommen zu habe.
Die Klangtransparenz des
satten Orchesterklanges ist immer wieder phänomenal ausbalanciert. Etwa in
dem kleinen, sonst gerne auch mal gestrichenen Vorspiel bei Escamillos
Einzug in die Taverne, das sonst Gefahr läuft, retardierend zu wirken oder
in den fein ziselierten, fast schon impressionistischen Klangfarben, die den
sich sanft in die Lüfte kräuselnden Rauch des Chores der
Zigarettenarbeiterinnen begleiten. Vieles kommt so "leicht, biegsam, mit
Höflichkeit daher", wie es einst Nietzsche an der Musik beobachtet hat.
Anderes so gewaltig sinfonisch aufgeladen, dass das Orchester immer wieder
Hauptakteur wird. Bis zu den letzten dramatischen Akkorden der Partitur wird
eine sinfonische Klangsprache, ja Klangpracht entfaltet, die, auf diesem
Niveau gespielt, in einer konzertanten Aufführung sicherlich ihre
Berechtigung hat. Chor und Kinderchor der Staatsoper fügten sich klangschön
und präsent in dieses Konzept ein (kleine, kaum störende Wackler inklusive),
setzten im Dialog mit dem Orchester immer wieder auch eigene Akzente und
trugen wesentlich zum Erfolg des Abends bei.
Entscheidung
Dieses Gesamtkonzept geht freilich über die Möglichkeiten spontaner,
theatralischer Stilmittel hinweg. Der stets saubere, wohl sitzende Klang
steht mehr in der Tradition der großen Oper – die ja auch Herbert von
Karajan mit demselben Orchester in den 1980er Jahren auf die CD brachte –
als in der ursprünglichen Werktradition der Opéra comique. Man muss diese
Entscheidung respektieren, um den Verzicht auf das intuitive, mitunter derbe
der Theatermusik Bizets und auf das aus der Situation entstehende
Leidenschaftliche und auch Erotisierende dafür in Kauf nehmen. Die legere
Raffinesse weicht so immer mal wieder dem Willen zu einem bestimmten
Klangideal. Der Abend, die Aufführung hat mehrere Aspekte, die auch eine
andere Sicht zulassen würden.
Da ist die rothaarige, attraktive
Erscheinung Magdalena Kozenás in der Titelpartie, die mit Hüftschwüngen und
in die Hüften gestemmten Armen dem Charakter zusätzlich Kontur geben will.
Sie singt die Partie mit einer Präzision, mit feinsten Abstufungen,
herrlichen Couleurs und einer ausgeklügelten Dynamikbehandlung so
idiomatisch wie nur denkbar. Die Präzision freilich ist die Feindin des
Lasziven. So will das Feuer der Femme fatale, der Leidenschaft nicht recht
erglühen, der erotische Funke nicht recht überspringen. Zu gezähmt bleibt
ihre Carmen, die – hier allerdings eins mit dem Orchester – dann doch nicht
in den Tonfall des Chansons verfallen will, wenn sie Habanera oder
Seguidilla anstimmt. Es sei nochmals betont, dass das stimmlich und
technisch alles tadellos dargeboten wird. Aber eine Carmen in der Tradition
ihrer großen Rollenvorgängerinnen ist das letztlich ebenso wenig wie es
andere hochbegabte Mezzosoprane waren: Anne-Sophie von Otter oder Vesselina
Kasarova kommen einem da aus der jüngeren Vergangenheit etwa in den Sinn.
Jonas Kaufmann, den viele als Don José unserer Tage sehen, ist
da ein ganz anderer Typ. Der Bariton des Tenors dominiert in dieser Partie
immer wieder, seine exponierten Tenorpassagen zieht er an diesem Abend immer
wieder in eine voix mixte hinein, die er mit melancholisch getönten Farben
überschattet und gerne ins Piano hineinführt. Manches erinnert hier in der
Tonerzeugung des oberen Registers an den späteren Domingo. Keine Frage,
Kaufmann versteht es in bester Tenortradition, Töne auszustellen und Phrasen
so zu gestalten, dass sie dem einen als große Gesangskunst, dem anderen als
Manierismus vorkommen mögen. Die Bravos nach seiner Blumenarie, die hier
nicht die von strahlendem Ton gekrönte und in einem Fluss präsentierte
Paradenummer des Tenors, sondern ein mit Tränen auf den Stimmbändern
gestaltetes Solo ist, sprechen von der Überzeugungskraft, die der Tenor bei
seinem Publikum hat. Intensiv dann der letzte Akt, in dem Kaufmann zu großer
Eindringlichkeit findet.
Die eigentliche sängerische
Sensation des Abends freilich war die Micaela von Genia Kühmeier, deren
reiner, aufblühender Sopran genau jene behutsame Zartheit und körperliche
Präsenz zugleich hat, die diese Rolle sonst oft so schwer zu besetzen macht.
Die Emphase, mit der sie die Bögen gestaltet, die Innigkeit, zu der sie im
Duett mit Don José findet, die Schattierungen ihrer Arie, haben eine
Natürlichkeit und einen Wohlklang, der einmalig ist. Von ihr, die ihre
Karriere seit Jahren klug gestaltet, ist hoffentlich bald mehr zu hören.
Den noch jungen litauischen Bassbariton Kostas Smorigins als Escamillo
kann man leider nur mit Einschränkungen loben. Seine kernige und raue, vom
Timbre her mehr im Bass denn im Bariton beheimatete Stimme hat noch nicht
den Glanz der Verführung und die kummerlose Jovialität, den diese
Tostesteron-Partie erfordern würde. Ein kleiner Höhepunkt des Abends war das
souverän vorgetragene Schmugglerquintett, das stilistisch von Jean-Paul
Fouchécourt als Remendado mit jener Finesse und jenem Witz angeführt wurde,
die man sich bei dieser kontrastreichen Partitur auch öfter vorstellen
könnte. Simon del Savio (Dancairo), Christina Landshamer (Frasquita) und
Rachel Frenkel (Mercédès) zeigten hier, zu welcher Wirkung die Musik mit
derart delikater Behandlung von Sprache und Rhythmik in Kombination mit
einem pointierten, zurückgenommenen Orchesterbegleitung gelangen kann.
Manchmal ist weniger dann eben doch mehr.
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