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OMM |
Von Stefan Schmöe |
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Puccini: La Bohème, Salzburger Festspiele, 4. August 2012 |
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Rauchen schadet der Gesundheit – aber nicht der Stimme
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Mimi braucht Feuer – nicht etwa für eine Kerze, sondern für die Zigarette.
So gerät sie an die fidele Studenten-WG nebenan, deren Bewohner sich wohl
eher als verarmte Bohèmiens inszenieren als tatsächlich an mangelndem BAföG
leiden. Nein, mit dem Paris des späten 19. Jahrhunderts haben Damiano
Michieletto (Regie), Paolo Fantin (Bühne) und Carla Teti (Kostüme) nichts im
Sinn; Paris bleibt weitgehend Zitat – etwa dann, wenn sich das
überdimensionale Fenster, vor dem die Außenakte spielen, öffnet und ein
riesiger Stadtplan von Paris ausgebreitet wird, auf dem auch als Sitzmöbel
genutzte kleine Häuschen stehen (die auf Musettas Schnipsen auch noch
niedlich leuchten), oder wenn im dritten Bild die Stadtautobahn wie ein
Teppich ausgerollt wird (die Mautstation ist immerhin eine schlüssige
Übertragung der im Original vorgesehenen Zollstation in die Gegenwart). La
bohème wird zur flippigen Gegenwartsstudie, sieht aber leider über weite
Strecken so aus, als wolle ein in Maßen talentiertes Nachwuchsregieteam ohne
besonderen Mut oder Fantasie irgendwo an einem mittelprächtigen Stadttheater
durch ein bisschen Gepolter auffallen. Der erste Verdacht, Mimi könne am
übermäßigen Konsum verschiedenster Drogen krepieren, bestätigt sich nicht.
Die eine Zigarette, die sich das Mädel angesichts seiner Atemprobleme aber
wohl doch besser verkniffen hätte, bleibt die Ausnahme.
Solches
Mittelmaß kann Salzburgs neuer Festspielintendant Alexander Pereira
eigentlich kaum im Sinn gehabt haben, als er mit der Bohème den an der
Salzach in der Tat allzu lange verschmähten Puccini in den Festspielkosmos
aufgenommen hat. Das zweite Bild, zur quitschbunten Revuenummer (bei der
Parpignol wie Superman von der Decke einschwebt) degradiert, ist geradezu
ein Ärgernis in seiner Oberflächlichkeit, die noch dazu die eigentliche
Geschichte aus den Augen verliert, das dritte Bild bleibt zwar näher am
Original, aber eben auch sehr konventionell. Bleibt die zentrale Idee, vier
Berufsjugendliche (eigentlich fünf, denn Mimi gehört auch dazu) zu zeigen,
die auf drastische Weise erwachsen werden. Um die Probleme
Spätpubertierender mit einigem künstlerischen Wert auf dem Theater zu
verhandeln, müssten, zumal sich allzu kleinteilige Gesten in den Weiten des
Großen Festspielhauses schnell verlieren, allerdings schlagkräftigere Bilder
her. Die gibt es, zumindest ansatzweise, im Schlussbild, wo das spärliche
Mobiliar (immerhin Designerschlafsäcke) zusammengekarrt wird, weil offenbar
die Zwangsräumung ansteht. Und Mimi stirbt, gekrümmt auf der Matratze und
unbeobachtet von den mit sich beschäftigten Studenten, elend, aber
herzergreifend.
Wobei das Herz in erster Linie durch die Musik
ergriffen wird, und das heißt eben auch: durch die Sängerin. Wie Anna
Netrebko mit voller, leuchtender Stimme die Partie gestaltet, im Piano und
Pianissimo ohne Klangverlust (eher noch mit gesteigerter Intensität)
zaubert, die Ausbrüche kraftvoll, gleichzeitig mühelos und leicht gestaltet,
die Figur sehr differenziert mit vielen Nuancen aussingt und sich bei allem
immer darauf verlassen kann, das ihre Stimme das trägt, das in der Tat ein
großes Festspielereignis. Angesichts dieser Fülle und Klangschönheit muss
man wohl sagen: Auf die Stimme geschlagen ist der Mimi die Zigarette nicht,
da scheint es sich um eine andere Krankheit zu handeln.
Wohl selten
wurde eine Absage vom Publikum so bejubelt wie die von Piotr Beczala (also
keineswegs ein x-beliebiger Sänger) - denn kurzfristig sprang in der hier
besprochenen zweiten Aufführung, zwischen zwei kraftraubenden Abenden als
Bacchus in der Ariadne auf Naxos, Publikumsliebling Jonas Kaufmann ein. Der
sang, während Beczala den Rodolfo auf der Bühne spielte, die Partie mit fast
provokativer Lässigkeit im Freizeitlook am Bühnenrand (und zog, den
Pausengesprächen nach zu urteilen, mehr Blicke auf sich als die gerade im
ersten Teil belanglose Inszenierung). Kaufmanns dunkler, dadurch sehr
maskuliner Tenor ist natürlich ein exzellenter Widerpart für die Netrebko
(um den Preis, dass dem Männerquartett eine helle Klangfarbe fehlt) – da war
also das momentane Traumpaar der Oper vereint. Wobei Kaufmann, bei allen
stimmlichen Meriten mit kraftvollen, weitgehend unangestrengt klingenden
Höhen nicht ganz makellos sang: Über ein schönes Piano verfügt er nicht,
sondern verknödelt manche Passage; das schränkt seine Möglichkeiten schon
ein. Dennoch war dies schon ein gesanglich großer Opernabend.
Die
weiteren Protagonisten standen naturgemäß ein wenig im Schatten dieses
Star-Duos, tragen aber durch ausnahmslos hohes Niveau zum musikalisch
glänzenden Gesamteindruck bei. Nino Machaidze als tadellose Musetta muss
sich durch einen anderen, eher spitzen Klang gegen die volltönende Mimi
absetzen, was ihr recht gut gelingt. Nicht ganz so schwer haben es die
Männer: Massimo Cavalletti ist ein kraftvoller, in Timbre und Gestaltung
„italienischer“ und weder zu leichter noch zu schwerer Marcello, Carlo
Colombara ein eher schlanker, mit hintergründiger Doppeldeutigkeit singender
Colline, Alessio Arduini ein mehr als zuverlässiger Schaunard. Chor und
Kinderchor sangen zuverlässig.
Ganz spurlos ging die fast
einstündige, der Umbesetzung geschuldete Verzögerung offenbar nicht an den
Wiener Philharmonikern vorbei, die sich gerade zu Beginn kleinere
Ungenauigkeiten erlaubten, aber schnell ihren fabelhaften Klang entfalten
konnten. Dirigent Daniele Gatti tat ganz hervorragend das, was man in einer
solchen Aufführung erwartet: Delikat die Starsänger begleiten, diesen aber
im Zweifelsfall geschmeidig den Vorrang zu lassen. Er baut Entwicklungen
bedachtsam auf, ist nie auf Effekt aus, nie klingt die Musik schwer oder gar
schwülstig. Puccinis raffinierte Klangfarben, gerade im dritten Bild, kommen
ebenso zur Geltung wie die großen melodischen Bögen. Da hat er dann doch
Recht, der Herr Intendant: Es ist höchste Zeit, auch in Salzburg mehr
Puccini zu spielen.
FAZIT
Tolle Sänger mit einer
grandiosen Anna Netrebko an der Spitze, tolle Orchesterbegleitung – trotz
der etwas nervigen, erst am Ende einigermaßen schlüssigen Regie ein großer
Festspielabend.
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