Die Welt, 31.7.2012
Manuel Brug
 
Strauss: Ariadne auf Naxos, Salzburger Festspiele, 29. Juli 2012
 
War doch nicht alles schlecht zu Kaisers Zeiten?
 
 
Schauspielchef Sven-Eric Bechtolf inszeniert in Salzburg "Ariadne auf Naxos" als restauratives Opern-Blendwerk
 
Sehr österreichisch, die G'schicht. Obwohl sie für Berlin geplant, als köstlicher Zwitter aus Schauspiel, Musiktheater und Tanz vor bald 100 Jahren in Stuttgart uraufgeführt, dann vier Jahre später in Wien als Oper separiert, 1917 wieder zum Sprechstück mit Ballett und schließlich zur eigenen Konzertsuite umgemodelt wurde. Es geht um Verwandlung und Verwechslung, um Resignation und Verzicht, Liebe und Lebensfreude, große Gefühle und Aufsteiger-Unverfrorenheit, vor allem aber um Restauration und Anti-Moderne: die (Kunst-)Welt von gestern als Kuschelersatz für die raue Gegenwart.

Die Rede ist von der heute nur noch als Oper in einem Vorspiel und einem Aufzug von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal bekannten "Ariadne auf Naxos", der einst noch eine spezielle Fassung von Molières lachhafter Parvenü-Komödie "Der Bürger als Edelmann" vorausgegangen war. Wie in so vielen Werken des kongenialen, dabei so grundverschiedenen Duos, wurde aus einer Kleinigkeit eine Großtat, aus einer luftigen Tändelei ein anspielungsschwerer Kunstkoloss. Während der Betrieb sich heute mit der marktgängigen Zweitfassung und ihrem celestahellen Himbeercreme-Klang begnügt, scheint es nur richtig, dass ein Festspiel, wie es das sommerliche Kulturtreiben in Salzburg ja unbedingt sein will, sich einmal der äußerst selten gegebenen, personenintensiven Urversion annimmt; also der Fassung mit Moliére, bei der einst als Regisseur wie Widmungsträger mit Max Reinhardt auch noch der dritte lokale Festival-Urvater beteiligt war.

Der neue Schauspielverweser Sven-Eric Bechtolf hat diese zweite Opern-/Theater-/Tanz-Premiere zur Chefsache erklärt. Die erschienene High Society bekam ein ungetrübtes Fest. Das Ausstatterpaar Marianne und Rolf Glittenberg schwelgt in Jugendstil- und Neobarock-Mode, Kristalllüster strahlen, pflaumenfarbene Samtsitze locken und Wiener Werkstätte-Artefakte sind zu bewundern; auch wenn sich das Gartengrün hinter dem weißen Salon deutlich als die künstliche Wirklichkeit einer Fototapete offenbart.

Doch innerhalb des unangekränkelt edlen Rahmens, der eine opulente, spätestens seit den Neunzigerjahren verschwundene Kulissenwelt beschwört, wird nichts infrage gestellt. Mit Raffinement wird, wie in einem Schaufenster der Wiener Augarten-Porzellanmanfaktur, das weltschmerzmüde Kaiser-Österreich wiederbelebt.

Denn fast ein wenig didaktisch hat Bechtolf zu der auf 90 Minuten gekürzten, mit Hofmannsthal-Einwürfen aus dem späteren Vorspiel durchmischten Molière-Auswahl noch eine dritte, autobiografische Ebene hinzuerfunden: eine platonische (?) Briefliebesgeschichte zwischen dem sich unter seine Figuren mischenden Dichter (mürb resignativ: Michael Rotschopf) und der frisch verwitweten Gräfin Ottonie (feinherb: Regina Fritsch). Sie sollen die motivische Brücke schlagen zur von Theseus verlassenen Ariadne, die sich nach dem Tod sehnt und dann doch für den jungen, neuen Gott Bacchus entflammt.

Das hebt aufgeräumt munter an. Weil Cornelius Obonya einen herrlich kratzbürstigen Monsieur Jourdin gibt und Peter Matic hochnäsig den Haushofmeister. Weil Heinz Spoerli putzige Lakaientänze samt einem unter der Wärmeglocke hervorspringenden Küchenjungen-Hüpfer erdacht hat. Vor allem aber, weil die (nicht komplett gegebene, etwa auf das Türkenzeremoniell verzichtende) Schauspielbegleitmusik von Richard Strauss so wunderbar geistvoll (und viel moderner, als er wollte) Lully und Wagner, vor allem aber sich selbst zitiert. Daniel Harding dirigiert diese Einwürfe mit luxurierender Grellheit und Schärfe, zu der die Wiener Philharmoniker bisweilen gezwungen werden müssen. Die Nähe zum erst später mit Pergolesi neoklassisch experimentierenden Igor Strawinsky wird offensichtlich. Dann aber beginnt die diesmal 500 Takte längere Oper - und der fast vier Stunden dauernde Abend wird problematisch.

Ist das faszinierend Neue, noch nie oder lange nicht mehr Gesehene einmal vorbei, folgt Konvention banalster Sorte. Eine Dutzend-"Ariadne" als pure Stückabwicklung, wie sie sich kein Stadttheater mehr traut. Der Salon ist theatralisch in die Länge gezogen, Ariadne (kaum Tiefe, gequetschte Höhe: Emily Magee) liegt hingegossen zwischen drei schiefen Konzertflügeln und ein paar Schaufeln Sand. Die Komödianten machen müde Späßchen und fahren Roller. Zerbinetta (rote Puderquaste mit versierten, aber fast nicht endenden, von Strauss verschärften Koloraturen: Elena Mosuc) tröstet sich vorhersehbar schnell mit Harlekin (solide: Gabriel Bermúdez).

Wäre jetzt noch Roberto Saccà als Bacchus am Start, wie ab dem 10. August, man wähnte sich vollends bei der (besseren) "Ariadne" von 2006 in der Züricher Oper. So aber bringt Jonas Kaufmann im Leopardenanzug mit guttural-gleißenden Tenortönen erotisches Restleben in dieses Sterben in Schönheit. Aus dem höchstens noch Daniel Hardings heftiger Kampf mit der Partitur aufrüttelt.












 
 
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