Die Presse, 18.1.2011
wawe
Massenet: Werther, Wiener Staatsoper, 17. Januar 2011
Staatsoper: „Werther“, teils zu derb, zu wenig empfindsam
 
Massenets Goethe-Vertonung mit Sophie Koch und Jonas Kaufmann: Das Ganze ist weniger als die Summe seiner Teile.
„Muss ja doch nicht immer alles über alle Begriffe sein!“, habe der Geheime Rat einmal im Hinblick auf manche seiner Werke konziliant erklärt, lässt Thomas Mann in „Lotte in Weimar“ den Sekretär Riemer dem Urbild von Goethes/Werthers Geliebter mitteilen, der nach 44 Jahren verwitweten Hofrätin Kestner. Stimmt: muss nicht. Kann auch gar nicht. Schön wäre es freilich – zumal wenn die Erwartungen so hoch waren wie bei Jonas Kaufmanns erstem Werther an der Staatsoper, noch dazu an der Seite der hier längst bewährten Sophie Koch. Wurden doch der deutsche Allround-Tenor mit der großen, vor allem weiblichen Fangemeinde und die elegante französische Mezzosopranistin als (nicht zuletzt optisch höchst ansprechendes) Traumpaar für Massenets gefühlvoll-überschwängliche Goethe-Vertonung ausgerufen.

Doch davon, „über alle Begriffe“ zu sein, war der Abend weit entfernt. An den Sängern lag das weniger: Kaufmann setzt seine baritonale, im Pianissimo oft klangarm und kehlig tönende Stimme gut und feinsinnig ein, ohne an den dramatischen Stellen klein beigeben zu müssen, ganz im Gegenteil. Ob man seine zunächst übertrieben linkisch-nervöse, dann überraschend draufgängerische, schließlich introvertierte Auffassung des Titelhelden als besonders gefinkelt oder etwas unausgegoren einschätzt, bleibt wohl Geschmackssache, genauso wie der Wunsch mancher Hörer nach einem helleren, obertonreicheren Timbre.

Jahreszeitenbaum und Petticoat

Über ein solches verfügt Sophie Koch. Sie verstand sich wohl schon besser in Andrei Serbans Jahreszeitenbaum- und Petticoat-Inszenierung einzufügen als ihr Partner, und sie vermittelte Charlottes Herzeleid zwischen Pflicht und Neigung glaubhaft, mit ebenso noblen wie verletzlich wirkenden Tönen. Die sichere, seriöse Wahl verkörperte Adrian Eröd als ihr braver, aber ungeliebter Gatte Albert auf ebenso passende Weise wie Ileana Tonca (Sophie) ihr Schicksal, vom auf Lotte fixierten Werther nie als Alternative wahrgenommen zu werden.

Dass die Vorstellung weniger war als die Summe dieser Teile, lag am pauschalen, an Tuttistellen reichlich derb und vielfach fern der nötigen Empfindsamkeit sich dahinwälzenden Orchesterklang, mit dem sich Frédéric Chaslin am Pult zufriedengab oder geben musste. Eine Enttäuschung – wenn auch keine „über alle Begriffe“.






 
 
  www.jkaufmann.info back top