Der Neue Merker, 18.1.2011
Dr. Georg Freund
Massenet: Werther, Wiener Staatsoper, 17. Januar 2011
Wien/Staatsoper: WERTHER mit Jonas Kaufmann am 17.1.2011
 
Vor einem Jahr hat Jonas Kaufmann mit seinem Werther die Pariser Bastille-Oper  erobert, jetzt hat er in dieser Rolle auch in Wien triumphiert. Wien hat ja zu diesem Werk eine ganz besondere Beziehung, denn in der ehemaligen Hofoper fand im Jahre 1892 die Uraufführung, und zwar  in deutscher Sprache statt.
 
Die Rolle des Werther kennt, anders als die Gestalt der Charlotte,  eigentlich keine Entwicklung: Werther ist vom ersten Auftritt an von Melancholie und Todessehnsucht erfüllt und hat eindeutisg masochistische Züge. Diese Figur gewinnt nun sehr an Statur, wenn sie nicht von einem leichten lyrischen, kopfig klingenden Tenor , sondern von einem Sänger mit dunklerer Stimme verkörpert wird.( Es gibt übrigens sogar eine Baritonfassung der Rolle aus Massenets Feder).  Kaufmanns baritonales Timbre ist hier ideal eingesetzt.  Hier steht kein jämmerlicher Weichling auf der Bühne und auch Charlottes Leidenschaft für diesen Mann gewinnt an Glaubwürdigkeit. Kaufmann gestaltet den Werther mit unzähligen klugen Nuancen  in Darstellung und Gesang als einen sensiblen, aber dennoch virilen Schwärmer. Dazu kommt seine exzellente Diktion in makellosem Französisch, das seinerzeit von der Pariser Kritik ganz besonders bestaunt wurde. Dass er auch le physique du role, das der Rolle entsprechende romantische Aussehen besitzt, ist ein weiterer Vorteil.
 
Der erste Akt ist, wie Domingo gesagt hat, nicht allzu schwer zu singen, aber die Arien „un autre son époux“ und die Anrufung Gottes in „lorsque l´ enfant revient d´ un voyage“ im zweiten Akt sind mit gesanglichen Schwierigkeiten reich versehen, bieten Jonas Kaufmann aber auch Gelegenheit, mit seiner strahlenden, scheinbar mühelosen Höhe zu prunken. Vom Publikum umjubelter Höhepunkt war natürlich Ossians Lied „Pourquoi me réveiller“ und das anschließende leidenschaftliche Duett mit Charlotte, für das sich der Regisseur noch dazu einen unnötig erschwerenden Hindernisparcours quer über das Bühnenbild mit Kletterpartie ausgedacht hat. Die lange Todesszene wurde von Kaufmann höchst ergreifend gestaltet und gab ihm Gelegenheit, sein technisch perfektes Piano einzusetzen. Niemals rettete er sich ins Falsett, sondern jeder Ton war rund und baritonal gestützt.  Diminuendi drückten Werthers erlöschende Kraft eindrucksvoll aus.

 
Eine wunderbare, mit Kaufmann bestens harmonierende Partnerin war Sophie Koch als Charlotte. Ihre hervorragende gesangliche und darstellerische Leistung in dieser Partie war in Wien schon oft zu bewundern und ich fand es sehr ungerecht, dass sie nach ihrer ausgezeichnet gesungenen Briefarie nur so wenig Applaus erhielt. Ileana Tonca als ihre Schwester agierte frisch und charmant und sang die Strophenlieder der Sophie hübsch.
 
Adrian Eröd als Albert hat in dieser Inszenierung die Rolle eines Bösewichtes zu verkörpern, der sogar noch am Schluss zu erscheinen hat, um sich an Werthers Tod zu weiden. Seine  Leistung in der Premierenserie hat mich wesentlich  mehr beeindruckt als diesmal. Ich fürchte, seine Stimme hat durch das Singen der Tenorrolle des Loge etwas gelitten. Sein Französisch ist  gut, aber für die Träger der kleineren Rollen gilt das leider ganz und gar nicht und Stimmschönheit fand man nur bei Clemens Unterreiner in der Rolle des Johann. 
 
Der Dirigent Frédéric Chaslin ließ das Orchester mit großer Lautstärke aufspielen, oft nicht gerade zum Vorteil der Sänger.
 
Die Inszenierung war nie ein großer Wurf. Das überladene Bühnenbild mit einer monströsen, omnipräsenten Linde lenkt allzu sehr vom Geschehen und den Protagonisten ab und ob es ein guter Einfall war, das Stück in den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts anzusiedeln, weil sie als sexuell repressive Zeit gelten,  bezweifle ich, denn die damalige Mode wirkt heutzutage eigentlich recht lächerlich und ist daher für ein tragisches Stück deplaciert. Immerhin wird uns das derzeit übliche Stil-Mischmasch erspart und die Regie lässt den Künstlern Freiheit, ihre eigenen Vorstellungen von den Rollen einzubringen, was von Kaufmann und Koch bestens genützt wurde. Der lang anhaltende Schlussjubel konzentrierte sich auf das tragische Liebespaar.






 
 
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