|
|
|
|
|
Berliner Zeitung, 21. Mai 2011 |
Martin Wilkening |
Mahler: Das Lied von der Erde, Berlin, Philharmonie, 18. Mai 2011
|
Ein Meister, zwei Welten
|
Gilbert und Abbado interpretierten Mahler in der Philharmonie |
|
Gustav Mahlers Werk ist zwar verhältnismäßig schmal, aber doch so
vielschichtig und widersprüchlich, dass es unterschiedliche Mahler-Bilder
ermöglicht. Man muss nicht jede seiner Sinfonien mögen, um dieser Musik
verfallen zu sein - und andersrum trennt die Wahl der Favoritin unter diesen
Werken oft Welten. So wächst die fünfte Sinfonie trotz Trauermarsch-Beginn
zu einem Werk der Lebensfreude und des Muskelspiels im üppigen
Blechbläsersatz heran, und so bleibt der Einleitungssatz der unvollendeten
Zehnten trotz mehrfacher Neuansätze seiner spröden Lineaturen ein einziges
großes Rätsel. In dieser Hinsicht blieben am Donnerstag weder das New York
Philharmonic mit dem neuen Chef Alan Gilbert noch tags zuvor die Berliner
Philharmoniker und Claudio Abbado den Werken etwas schuldig.
Alan
Gilbert wurde zu Beginn der letzten Saison in New York der Nachfolger von
Lorin Maazel, dem Kurt Masur vorausgegangen war. Auch Mahler selbst gehört
in die Ahnengalerie ehemaliger Musikdirektoren des New York Philharmonic,
mit dem er zwischen 1907 und 1911 pro Spielzeit bis zu fünfzig Konzerte gab.
Mit dem 43-jährigen Gilbert steht nach langer Zeit nun wieder ein Jüngerer
am Chefpult, und zum ersten Mal ein gebürtiger New Yorker. In Berlin spielte
das Orchester ein reines Mahler-Programm; der fünften Sinfonie hatte man den
Zyklus der "Kindertotenlieder" vorangestellt.
Bei beiden Stücken
akzentuierte Gilbert die räumliche Dimension der Musik durch eine in die
Tiefe gestaffelte Bläseraufstellung. Im ersten der Kindertotenlieder erklang
das Horn wie die Stimme ferner Erinnerung hinter der melodisch führenden und
tonlich ungewöhnlich voluminösen Oboe, und in der Sinfonie nahmen die sieben
Hörner eine eigene Reihe zwischen den Holzbläsern und der großbesetzten
Blechbläsergruppe ein. Die Aufstellung unterstützte auch jenen kompakten
Blechbläserklang, der offenbar als Markenzeichen dieses Spitzenorchesters
unentbehrlich ist, bei aller Perfektion aber doch auch als protzender
Fremdkörper in Mahlers gebrochener Farbenwelt wirkt - mehr um des
Selbstzwecks willen vorgeführt, als aus der Musik gewachsen. Der samtige
Streicherklang tut sein Übriges für ein durchgehend sättigendes Hörerlebnis.
In den Tempi neigt Gilbert oft zu zelebrierender Langsamkeit, was im
Adagietto alle Klischees erfüllt, dem oft zu schnell genommenen Scherzo gut
bekommt und im ersten Satz mit dem Auskosten der schönen Stellen das Ganze
etwas zerfallen lässt. Das Trimmen auf perfektionistischen Glanz verdeckt
aber auch das quasi von außen in den Konzertsaal Hineinklingende. Die
Triolen der Trompetensignale haben hier nicht die von Mahler geforderte
"Flüchtigkeit", sondern wirken muskulös, rhythmisch stramm. Überraschend
dabei, dass die erste Trompete zu Anfang beinahe und am Schluss
unüberhörbar, bei den Spitzentönen patzte.
Um den Mahler-Gesang, dies
offenbarten beide Konzerte, steht es nicht zum Besten. Für Thomas Hampson,
an dessen Sprachdeutlichkeit, obwohl sie wenig Sinnlichkeit für Nuancen
mitbringt, nichts zu tadeln ist, liegen die Kindertotenlieder zu hoch, so
dass er ständig auf die Kopfstimme angewiesen ist. Zudem fehlte es seiner
Stimmführung, die da, wo es möglich war, mit sonorer Fülle auftrumpfte, auch
an Sinn für den Zusammenhang mit den Orchesterfarben.
Gerade
in dieser Hinsicht wirkte "Das Lied von der Erde", wo die Verbindung
instrumentaler und vokaler Stimmen strukturbestimmend ist, in der Aufführung
mit Claudio Abbado und den Berliner Philharmonikern am Abend zuvor geradezu
exemplarisch. Auch hier tragen die Anforderungen an die Sänger etwas
Utopisches in sich, und auch Jonas Kaufmann ließ im dritten Lied mit seinen
weichen Bögen stimmliche Grenzen spürbar werden, nachdem er im "Trinklied
vom Jammer der Erde" den Ton ekstatischer Wundheit fantastisch traf.
In der Verflechtung mit den Rufen des Horns zeigte er sich so aufmerksam wie
Anne Sophie von Otter, die am besten war, wo sie in den tieferen Lagen in
fast erzählerisch direkter Einfachheit sang. Das Vibrato, in das sie höhere
Lagen hüllte, klang aber undifferenziert und stereotyp.
Abbado und
das Orchester vermeiden jede Knalligkeit, es wird im "Abschied" manchmal
fast erschreckend still. Sein Mahler fordert höchste Aufmerksamkeit, so auch
im Adagio aus der zehnten Sinfonie, dessen fragile Zeichnung der Linien ohne
Glätte schön wirkt; auch da, wo sich die Musik zum neunstimmigen Akkord
zusammenkrampft und etwas fast Scheues vermittelt. |
|
|
|
|
|
|