Kaum jemand hat sich so ins Zeug gelegt wie Daniel Barenboim, um
Franz Liszt in dessen Jubeljahr alle Ehre zu erwiesen: Er tourte
mit den beiden Klavierkonzerten und der Dante-Sinfonie durch die
Konzertsäle der Welt, er begleitete Liszt-Lieder am Klavier.
Beim 2. Abonnementkonzert der Staatskapelle widmet er sich nun
auch noch dem Chorschaffen des Abbé. Seine beiden Oratorien „Die
Legende der Heiligen Elisabeth“ und „Christus“, dazu Messen,
Kantaten und Psalmvertonungen belegen unüberhörbar, wie wichtig
Liszt das Komponieren für Vokalensemble war.
Ein
Komponieren jenseits der großen Traditionslinie Bach-Händel, ein
Versuch, geistliche Chormusik ohne Rückgriff auf musikalische
Muster der Vergangenheit zu schaffen.
Wenn sich Barenboim
mit seiner Staatskapelle und dem Staatsopernchor dem 13. Psalm
annähert, klingt das erst einmal nach Oper, schwingen schwere
Samtvorhänge langsam auf. „Herr, wie lange willst meiner so gar
vergessen?“, hebt die Klage an, aus der sich immer wieder die
Tenorstimme Jonas Kaufmanns löst. Ihr dunkel timbrierter Klang
füllt die Philharmonie, lässt aber kaum zum Verursacher
zurückverfolgen. Kaufmann ist ein lichtstarker Stimmprojektor,
doch auf eine persönliche Reise aus der Tiefe der Verzweiflung
bis hin zu jubilierender Gewissheit im Glauben nimmt er nicht
mit. Barenboims Dirigat scheint zu locker geschnürt, um das
emotionale Programm Liszts auch musikalisch glaubhaft zu
untermauern. Ein Malus, der am Komponisten anhängen bleibt.
Stärker spürbar die Identifikation nach der Pause mit Liszts
Faust-Sinfonie in drei Charakterbildern. Die Staatskapelle
schnurrt kaum angetippt los wie eine Luxuslimousine. In diesen
Kanten umspielenden Klang Akzente hineinzusetzen, reizt
Barenboim nur sporadisch. Und auf einmal klingt Liszt ganz weit
entfernt von seinen unmittelbaren Mitstreitern. Der Furor, der
bei Berlioz aus Pulver- und Opiumdämpfen aufsteigt, der das
Hören revolutionieren will, wirkt auf eine beinahe altväterliche
Weise unter einer edlen Löschdecke erstickt. Am klarsten
konturiert erscheint Mephistopheles’ Porträt, kurz vor dem
raunenden Chorus mysticus, der alles ins Gleichnis emporhebt.
Ein Teufel in Strickjacke, wie von Richard Strauss erdacht. Und
der Jubilar – überlisztet.