Der Neue Merker
Ursula Wiegand
Liszt Konzert, Berlin, Philharmonie am 12. Oktober 2011 und Konzerthaus am 13. Oktober 2011
 
Daniel Barenboim und Jonas Kaufmann feiern Franz Liszt, 12.10.2011
 
 
Erneut können sich die Hörer ebenso beglückwünschen wie posthum das Geburtstagskind Franz Liszt, sind doch nun Werke zu erleben, die bisher oft vernachlässigt wurden. Warum eigentlich?
Die Schublade des legendären Klaviervirtuosen, in die Liszt gesteckt wurde, ist für diesen hochbegabten Allround-Musiker viel zu eng. Dass er auch ein großartiger Komponist und seiner Zeit weit voraus war, beweist dieser Abend unter der engagierten Stabführung von Daniel Barenboim. Mit der gleichfalls begeistert aufspielenden Staatskapelle Berlin bringt er Liszts Klangfarben intensiv zum Leuchten.Ihm zur Seite der Startenor Jonas Kaufmann und der Staatsopernchor unter Eberhard Friedrich.

Den Anfang macht Franz Liszts „Psalm 13, Herr, wir lange willst du meiner so gar vergessen“ (Zweite Fassung) für Tenor, gemischten Chor und Orchester von 1855. Erst traurig und zurückhaltend, dann zunehmend drängender artikuliert Kaufmann dieses „Herr, wie lange willst du meiner so gar vergessen?“ Der Chor mischt sich ein, alterniert, unterstützt vom Orchester, mit dem Solisten.

Beim „Wie lange soll sich mein Feind über mich erheben?“ wird die Bitte fast zur Forderung und entsprechend wechselt die Stimmung des Stückes, das eigentlich nur ein Hauptthema besitzt, das ständig abgewandelt und dem Text entsprechend „eingefärbt“ wird.

Immer sicherer zeigt sich der Klagende, dass sein Gebet erhört wird. Musikalisch spornen Solist, Chor und Orchester einander wirkungsvoll an. Die Hoffnung auf Gnade mündet in Zuversicht und kumuliert – nach Einbau einer Fuge - in der hymnischen, beinahe opernhaft gestalteten Schlusszeile: „Ich will dem Herrn singen, dass er so wohl an mir getan.“

Kaufmann singt das mit spürbarer Anteilnahme, muss aber die hohen Töne vorsichtig ansetzen. Im Verlauf glänzt er mit Schmelz und Belcanto, zuletzt mit Jubeltönen. Auch das Publikum jubelt.

Wie farbenprächtig Liszt auch in weit größerem Rahmen und mit einem großen Orchester arbeiten konnte, zeigt das folgende Werk, das genau wie der Psalm in seiner produktiven Weimarer Zeit entstanden ist: „Eine Faust-Symphonie für Tenor, Männerchor und Orchester“. Erstdruck 1861. Goethes Faust-Dichtung hat Liszt - und nicht nur ihn - jahrelang sehr beschäftigt. Auch und gerade Hector Berlioz, seinen Impulsgeber.
Liszt fährt in dieser Sinfonie 70 Minuten lang alle musikalischen Geschütze auf. So, als wollte er dartun, dass er keineswegs nur ein Starpianist und Komponist von Klavierstücken ist. Beim Hören dieses Werkes steht das außer Zweifel. Es wirkt regelrecht raffiniert, mit welchen Klang- und Tempo-Varianten er unsere Ohren erfreut oder konfrontiert. Das ist „große Oper“.

Liszt hat diese Sinfonie in drei Teile gegliedert: Faust, Gretchen und Mephistopheles. Fausts vielfach gespaltene Persönlichkeit hat ihn offenbar am meisten interessiert. Ihn charakterisiert er mit fünf Motiven. In den lyrischen Passagen meint man, Fausts Osterspaziergang mitzuerleben, in anderen bereits die Gefahr einer Höllenfahrt und seine schließlich Errettung.

Das Orchester folgt jedem Wink Barenboims, der sich mit viel Temperament dieser schillernden Partitur annimmt. Das wunderbare Legato der Contrabässe ist ebenso auffallend wie das Singen der Holzbläser, die den Gretchen-Teil innig begleiten. Liszt zeichnet ausgiebig und mit spürbarer Zuneigung dieses unschuldige Mädchen.

Mephistopheles kommt dagegen gar nicht gut weg. Der erhält keine eigenen Motive, er muss sich mit den fratzenhaft verzerrten, dissonanten Faust-Motiven begnügen. Für die damaligen Zuhörer war speziell dieser 3. Teil eine unerhörte Zumutung. Liszt als Wegbereiter der Moderne – hier wird es besonders deutlich. Barenboim und die Staatskapelle explodieren bei diesem Höllenszenario. Nur gelegentlich kommen reine Faust- oder Gretchen-Motive ins irrwitzige Geschehen.

Zuletzt schweigt das Chaos und alles wird gut. Der Chor bringt zusammen mit Kaufmann und dem Orchester die von Liszt feierlich gestalteten Schlussverse aus Faust II: „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis“
Goethes Fazit, „das Ewig-Weibliche zieht uns hinan“, wird von Liszt besonders ausgemalt und immer mehr gesteigert. Eine grandiose und grandios dargebotene Himmelfahrt. Der Applaus will danach gar nicht enden.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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